DTV-Werte sind mit Vorsicht zu genießen!

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Wer sich als Radverkehrs-Aktivist mit Behörden auseinanderzusetzen hat, der stolpert früher oder später über den „DTV-Wert“. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung. Damit ist die Menge der Kfz gemeint, die am Messpunkt in 24 Stunden entlangfährt. Es ist die Summe beider Richtungen.

Kritische Größe: ‚Schwerverkehr‘

Bei der Anordnung von Radwegbenutzungspflichten kommt es nicht allein auf die Menge aller Kfz, sondern auch auf den Anteil des „Schwerverkehrs“ an. Schwerverkehr im Sinne der Richtlinien, die für die Bewertung der Radwegbenutzungspflicht maßgeblich sind, sind

Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen.

Welche Kfz wiegen mehr als 3,5 Tonnen? Die großen Sattelschlepper sowieso, und auch die Lkw von der Größe eines Möbelwagens sind schwerer. Aber nur 20% aller Lkw wiegen mehr als 3,5 Tonnen, siehe unten.

Gemessen wird die LÄNGE

Für DTV-Zählungen — sofern sie denn gegen den Radverkehr verwendet werden sollen — ist also zu fordern, dass das verwendete Zählverfahren sehr zuverlässig zwischen den Fahrzeugarten 5 (Leicht-Lkw unter 3,5 t) und 6 (Lkw ab 3.5 t) unterscheiden kann. Mit den üblichen automatischen Zählgeräten wird lediglich die Fahrzeuglänge gemessen.
Innerorts werden zumeist „Zählplatten“ zum automatischen Messen eingesetzt. Allerdings misst man damit nicht den Schwerverkehr, der durch sein zulässiges Gesamtgewicht > 3.5 t gekennzeichnet ist, sondern die Länge der Fahrzeuge – und da liegt das Problem!
Die Zählgeräte für Zählplatten kann man so programmieren, dass man sogenannte „Längenklassen“ zählen lässt, also z. B. Fahrzeuge bis 5 m, von 5 bis 8 m, usw. So werden für Messungen beispielsweise 8 Längenklassen gebildet und die Längen dann so an den Standort angepasst, so dass das automatische Zählergebnis mit einem zusätzlich zu erhebenden Hand-Zählergebnis der Fahrzeugarten übereinstimmt. Wenn sich dann die
Verkehrszusammensetzung nicht weiter ändert, zählt das Gerät in diesem Rahmen relativ zuverlässig.

Hier ein Beispiel, wie die „falschen“ DTV-Werte sorglos in Gerichtsverfahren eingebracht werden. Gottlob waren sie nicht entscheidungsrelevant:

„VG Stade, Urt. v. 22. Mai 2013, 1A 854/11
Tatbestand
In Köhlen [….] Der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV) belief sich nach einer Messung des Beklagten aus dem Jahr 2010 auf 2.487 Kraftfahrzeuge, davon waren 266 Kraftfahrzeuge länger als 7 m.
In Lintig […] Der DTV belief sich nach einer Messung am nördlichen Ortsausgang Richtung Bad Bederkesa im Jahr 2010 auf 4.091 Kraftfahrzeuge, davon waren 533 Kraftfahrzeuge länger als 7 m.

Es wird der Eindruck erweckt, als gehörten Fahrzeuge > 7m zum Schwerverkehr. Indem die Zählplatte nur die Länge der Fahrzeuge, nicht aber das Gewicht und schon gar nicht das zulässige Gesamtgewicht misst, verbleibt aber eine prinzipielle Fehlerquote. So werden in Gegenden, in denen es Ausflugsverkehr gibt, die am Wochenende fahrenden Pkw mit Anhänger als Lkw erfasst. Ein weiteres Beispiel ist der „Mercedes Sprinter”, den es in der Langversion mit 3.5 t und 4 t zulässigem Gesamtgewicht gibt:
Äußerlich ist der Unterschied nicht erkennbar, aber im einen Fall ist er dem leichten Fahrzeugverkehr, im anderen Fall dem Schwerverkehr zuzurechnen.
Wie falsch zählen die Zählplatten?

Das solltet Ihr die Behörde fragen

Sofern die Behörde trotz der prinzipbedingten Ungeeignetheit eine Zählung des Verkehrs/Schwerverkehrs mit Zählplatten vornehmen will und darauf etwaige Entscheidungen zum Nachteil der radfahrer begründen will, müsste vorab der technische Rahmen der Zählung detailliert beschrieben werden:

  1. Wie viele und welche Längenklassen sollen verwendet werden?
  2. Wie soll die Zuordnung der Längenklassen zu den auf der Tonnage beruhenden
    Fahrzeugarten erfolgen?
  3. Welche Norm oder Richtlinie wird der getroffenen Zuordnung zugrunde gelegt?
  4. Sofern das Gerät über einen Lern-Modus zur automatischen Fahrzeug-Erkennung verfügt: Wie wird sichergestellt, dass das Profil auch für die xxxx-Straße geeignet ist?
  5. Wie wird mit Kraftfahrzeugen umgegangen, deren Zuordnung unklar ist (wie der
    Mercedes-Sprinter)?
  6. Erhält der ADFC nach Abschluss der Zählung eine Kopie der Rohdaten?

Nur der Anschein von Objektivität

Im Hinblick auf die oben angesprochenen Bedenken und tatsächlichen Durchführungsschwierigkeiten stellt sich die Frage, ob die Kommunen die Verkehrszählungen in der Vergangenheit immer korrekt durchgeführt haben. Welchen Wert hat das Zahlenmaterial? Wenn jeder zählen kann, wie er will, scheint die Messung des Schwerverkehrs eher willkürlich zu sein. Eine Verkehrszählung erweckt zwar den Anschein von Objektivität, indem Zahlenwerte und Prozentzahlen präsentiert werden. Allerdings resultieren diese Zahlenwerte, wie oben erläutert wurde, auf höchst subjektiven Erhebungsmethoden.

Letztlich ersetzt eine Verkehrszählung, speziell soweit es um die Radverkehrsbelange geht (Verträglichkeit des Mischverkehrs) nicht die Augenscheinnahme vor Ort. Wobei auch diese natürlich nur einen subjektiven Eindruck in einer Momentaufnahme vermitteln würde und nur ein ergänzendes Element in der richterlichen Überprüfung der Ermessensentscheidung wäre.

80% aller Lkw sind NICHT schwerer als 3,5 t

KBA Lkw Zulassungen 2015

KBA Lkw Zulassungen 2015

„Schwere“ Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen Höchstgewicht gibt es — gemessen an der Gesamtzahl aller als Lkw zugelassenen Fahrzeuge — nur sehr wenige. Die mit Abstand meisten „Lkw“ entstammen also der Kategorie Lieferwagen und Leicht-Lkw.  Beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kann man sich die detaillierten Zulassungs-Zahlen nach Größenklassen anschauen. Am 1. Jan. 2015 verteilten sich die Lkw-Zulassungen gemäß der Tabelle:
[ KBA, Bestand Größenklassen 1.1.2015 ]

(Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt)

Gewicht max.
3,5 t
3.501….
7.500 kg
7.501…
12.000 kg
12.001…
20.000 kg
20.001
und mehr
alle Lkw
Anzahl 2.176.613 249.381 79.882 72.716 122.709 2.701.343
Anteil 80,5 % 9,2 % 3,0 % 2,7 % 4,5 % 100 %

Mit anderen Worten: nur jeder fünfte Lkw fällt in die Kategorie „Schwerverkehr“ im Sinne der Technischen Regelwerke ERA, RASt, RAL. Falls Euch Eure Straßenverkehrsbehörde eine Verkehrszählung vorlegt, wo dieses Verhältnis der Größenklassen nicht ungefähr analog abgebildet ist, dann muss gefragt werden: warum? Dann ist entweder falsch gezählt worden oder es gibt u.U. eine plausible Erklärung.

Bundesfernstraßen

Zum Zählen an den Bundesfernstraßen gibt es immerhin brauchbare Technische Richtlinien über das Zählverfahren. Siehe Richtlinien bzw. Anweisungen für die Straßenverkehrszählung 2010.
Die dortigen Vorschriften sind ein guter Anhaltspunkt für die Qualität, die von einer Verkehrszählung erwartet werden sollte; insbesondere in Hinblick auf die Unterscheidung der Leicht-Lkw von den Schwer-Lkw.

4 Kommentare

  1. Ein hoher Anteil Schwerlastverkehr ist sogar ein Argument GEGEN Radverkehrsanlagen:

    „Bei zweistreifigen Streckenabschnitten (mit undohne Schutzstreifen) ist kein steigendes Unfallaufkommen
    bei steigendem SV-Anteil festzustellen.So nimmt die Unfalldichte auf diesen Streckenabschnittenmit zunehmendem SV-Anteil ab. ZufälligeSchwankungen können bei den Querschnittenohne Schutzstreifen ausgeschlossen werden, da hier große Streckenlängen zugrunde liegen.“
    Quelle: Seite 45 in der neuesten Studie der BASt V 257 zu finden unter: http://bast.opus.hbz-nrw.de/frontdoor.php?source_opus=1401&la=de

    • Mir war die Fragwürdigkeit der Verkehrszählungen anlässlich eines Gerichtsverfahrens 2013 mit dem Landkreis Cuxhaven aufgefallen. Der Beklagte hatte 2 deutlich verschiedene Verkehrszählungen aus dem Hut gezaubert. Daraufhin wollte das VG Stade nochmals zählen lassen. Also habe ich gecheckt WAS und WIE geprüft wird und das Ergebnis dem Gericht vorgelegt. Daraufhin wurde der Plan einer erneuten Zählung fallengelassen 😉

      • Würden mal mehr Leute genauer nachfragen, was so passiert und wie 🙂

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