Rechtswidrig, aber nicht nichtig: der Doppel-Lolli

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Anhand der L 333 in Syke gibt es jetzt die bundesweit erste Entscheidung zur rechtlichen Beurteilung von beidseits der Straße aufgestellten Radwegbenutzungspflichten. Mit Urteil vom 17.11.2016 stellte das Verwaltungsgericht Hannover fest, dass eine solche Verkehrsregelung rechtswidrig ist, aber nicht nichtig (7 A 2528/16).

Das Verfahren war ins Rollen gekommen, weil es in jener Straße zwei Radwege gab, die gleichermaßen viel zu schmal und völlig ungepflegt waren. Auch nach mehrmaliger Aufforderung wurde an dem Zustand nichts geändert. Als der Radfahrer daraufhin auf der Fahrbahn fuhr, fing er sich ein Bußgeld ein.

Sodann klagte er am Verwaltungsgericht auf Feststellung der Nichtigkeit der gleichzeitig links und rechts aufgestellten blauen „Lollis“. Denn ein Verwaltungsakt ist nichtig, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann: man kann nicht gleichzeitig beide Wege benutzen, wie vorgeschrieben. Deshalb sei man auch ständig mit einem Bußgeld bedroht, so dass die Lollis auch deshalb nichtig seien.

In der Summe konnte sich der Radfahrer nicht durchsetzen. Vielmehr stellte das Gericht die Rechtswidrigkeit einer solchen Anordnung fest:

[die Zeichen 240]waren jedoch rechtswidrig, weil diese Anordnung von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Bei der Anordnung eines Ge- und Verbots han­delt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, der nach dem Grundsatz des Vor­behalts des Gesetzes einer formell-gesetzlichen Grundlage bedarf.

Dem Ge- und Verbot zu Verkehrszeichen 240 StVO in Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO kann entnommen werden, dass sich die Radwegbenutzungspflicht des Verkehrszei­chens 240 StVO immer auf einen bestimmten Radweg in der jeweiligen Fahrtrichtung bezieht, vgl. auch § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO. Die StVO kennt kein Verkehrszeichen, wel­ches die Radwegbenutzungspflicht auf beiden Fahrbahnseiten in gleicher Fahrtrichtung anordnen kann, sodass es diesbezüglich an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt.

Welche Konsequenzen hat das?

Radfahrer: dürfen nicht einfach auf der Fahrbahn fahren, wenn Doppel-Lollis vorhanden sind, auch wenn sie rechtswidrig sind. Denn rechtswidrige Verkehrszeichen müssen erst einmal beachtet werden. Man kann aber unmittelbar gegen sie vorgehen.
Behörde: Es ist jetzt umso klarer, dass Doppel-Lollis nicht zulässig sind. Ob ’nichtig‘ oder ‚rechtswidrig‘ ist in der Verkehrs-Praxis unerheblich (interessiert sowieso niemanden), aber falls man gegen irgend einen der Wege vorgehen will, dann hat man mit diesem Urteil („rechtswidrig!“) erstmal eine gute Basis.

VG Hannover, Urt. v. 17.11.2016, 7 A 2528/16

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

ln der Verwaltungsrechtssache

des Herrn XXXXXXXX, XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX,

Klägers,

gegen

den Landkreis Diepholz, vertreten durch den Landrat, Niedersachsenstraße 2, 49356 Diepholz, – 31.21.08 –

Beklagten,

Streitgegenstand: Radwegbenutzungspflicht (Nichtigkeitsfeststellungs­klage)

hat das Verwaltungsgericht Hannover – 7. Kammer – am 17. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht XXXXX, den Richter am Verwaltungsgericht XXXXXX und die Richterin XXXXXXXX sowie die ehrenamtliche Richterin XXXXXX vXXX und den ehrenamtlichen Richter XXXXXX ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass die vom Beklagten vormals gleich­zeitig beidseits der L 333 „Ernst-Boden-Straße“ in Syke zwi­schen der Einmündung der Straße „Am Winklerfelde“ und der Bundesstraße 6 angeordneten Verkehrszeichen 240 StVO (Gemeinsamer Geh- und Radweg mit Radwegbenut­zungspflicht) rechtswidrig waren.

 

lm Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten tragen der Kläger und der Beklagte zu je 1/2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Be­klagte zu 1/2 und die außergerichtlichen Kosten des Beklag­ten trägt der Kläger zu 1/2. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstre­ckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Alltags- und Touren-Radfahrer. Darüber hinaus ist er Mitglied des ADFC.

In dieser Funktion steht er im regelmäßigen Kontakt mit dem Beklagten. Er wurde be­reits von diesem an mindestens einer Radwegeverkehrsschau im Gebiet der Stadt Syke beteiligt.

Am 9. September 2015 befuhr der Kläger mit dem Fahrrad aus westlicher Richtung kommend die Landesstraße (L) 333. Die L 333 ist eine innerörtliche Hauptverkehrs­straße „Ernst-Boden-Straße“ in Syke ohne baulich getrennte Richtungsfahrbahnen.

Kurz hinter dem Ortseingang in Syke beginnt auf der in Fahrtrichtung rechten Straßen­seite ein Hochbordweg, welcher mit Zeichen 240 (lfd. Nr. 19 der Anlage 2 zu § 41 Straßenverkehrs-Ordnung [StVO]) als „gemeinsamer Geh-/Radweg mit Benutzungs­pflicht“ gekennzeichnet ist. Im weiteren Verlauf von circa 2 km bis zur Kreuzung mit der Bundesstraße 6 wird das Verkehrszeichen 240 StVO auf der rechten Straßenseite re­gelmäßig wiederholt. Ab der Einmündung der Straße „Am Winklerfelde“ war auf der linken, gegenüberliegenden sowie auf der rechten Straßenseite zu jenem Zeitpunkt in gleicher Fahrtrichtung ebenfalls das Zeichen 240 StVO ausgewiesen. Die Verkehrszei­chen bezogen sich beide auf die Fahrtrichtung, die der Kläger mit dem Fahrrad befuhr. Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad im weiteren Verlauf auf der Fahrbahn.

Die Erläuterung Nr. 1 Ge- oder Verbot-Zeichen 240 (lfd. Nr. 19 der Anlage 2 zu § 41 StVO) lautet: „Der Radverkehr darf nicht die Fahrbahn, sondern muss den gemeinsa­men Geh- und Radweg benutzen (Radwegbenutzungspflicht)….“.

Am 23. September 2015 informierte der Kläger den Beklagten im Rahmen einer Selbstanzeige über den Vorfall. Daraufhin leitete die Bußgeldstelle des Beklagten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Kläger wegen Nichtbeachtung der Radweg­benutzungspflicht aus Verkehrszeichen 240 StVO ein. Gegen den Bußgeldbescheid vom 20. November 2015 legte der Kläger am 8. Dezember 2015 Einspruch ein und begründete diesen mit der Nichtigkeit der gleichzeitigen beidseitigen Anordnung der Verkehrszeichen 240 StVO nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 Verwaltungsverfahrens­gesetz (VwVfG).

Der Beklagte ordnete mit Schreiben vom 7. Januar 2016 die Entfernung der auf dem linken Radweg stehenden Verkehrszeichen 240 StVO und deren Ersetzung durch das Zusatzzeichen 1022-10 („Radverkehr frei“) auf der L 333 „Ernst-Boden-Straße“ im Ab­schnitt zwischen der Einmündung der Straße „Am Winklerfelde“ bis zur Kreuzung mit der Straße „Schloßweide“ an. Die Umsetzung der Anordnung erfolgte im Januar oder Februar 2016.

Zuvor hatte der Kläger am 11. Januar 2016 beim Beklagten einen Antrag auf Feststel­lung der Nichtigkeit der gleichzeitig beidseits der Straße angeordneten Verkehrszei­chen 240 StVO gestellt, die sich zu dem damaligen Zeitpunkt noch auf der der L 333 „Ernst-Boden-Straße“ in Syke zwischen der Einmündung der Straße „Am Winklerfelde“ und der Kreuzung mit der Bundesstraße 6 befanden. Er trug vor, die gleichzeitige beid­seitige Anordnung der Verkehrszeichen 240 StVO sei nichtig, § 44 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwVfG. Der Kläger sei einerseits zur Benutzung des rechten Radweges und anderer­seits zur Benutzung des linken Radweges verpflichtet. Diese Anordnungen könne aus tatsächlichen Gründen niemand gleichzeitig befolgen. Zudem verlange die jeweilig an­geordnete Radwegbenutzungspflicht von ihm die Begehung einer rechtswidrigen Tat. Denn es sei ihm nicht möglich, dem Gebot in Gestalt von Verkehrszeichen 240 StVO zu folgen, ohne gegen das auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls ange­ordnete Gebot in Gestalt von Verkehrszeichen 240 StVO zu verstoßen und umgekehrt. Deswegen habe der Kläger mit seinem Fahrrad die Fahrbahn benutzt, § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO.

Zur Begründung seiner Ansicht verwies er zusätzlich auf die Broschüre „Leitfaden Radverkehr“ (Blatt 20 der Akte) der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLBStV), welche auf Seite 12 unter der Überschrift „3.3.7 unzulässige Beschilderung“ feststellt: „Eine Radwegbenutzungspflicht für beidseitige Radverkehrs­führungen in derselben Fahrtrichtung ist bei einbahnigen Fahrbahnen nicht zulässig, da Radfahrerrinnen und Radfahrer dann nur eine der beiden verpflichtenden Anordnungen befolgen können (Bild 19). Möglich ist eine solche Ausweisung der Radverkehrsanla­gen nur bei Straßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen.“

Zwischenzeitlich wurde der Kläger vom Amtsgericht Syke durch Urteil vom 1. März 2016 rechtskräftig wegen Nichtbenutzung des Radweges zu einer Geldbuße von 20 EUR verurteilt (4 OWi 406 Js 52822/15 [376/15]).

Mit Schreiben vom 31. März 2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Entfer­nung der Verkehrszeichen § 240 StVO auf der jeweils linken Straßenseite auf L 333 „Ernst-Boden-Straße“ im Abschnitt zwischen der Einmündung der Straße „Am Winkler­felde“ bis zur Kreuzung mit der Straße „Schloßweide“ bereits angeordnet und die Maß­nahme auch schon vollzogen worden sei. In seinem Schreiben vom 13. April 2016 er­klärte der Kläger gegenüber dem Beklagten, dass es aufgrund der nunmehr veränder­ten Situation – Entfernung der streitgegenständlichen Verkehrszeichen – einer Beschei­dung seines Antrages auf Feststellung der Nichtigkeit nicht mehr bedürfe.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27. April 2016 sodann unmittelbar beim Verwal­tungsgericht Hannover Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben. Er wiederholt im We­sentlichen seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Zur Begründung verweist er des Weiteren auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infra­struktur (BMVI) vom 10. April 2013 (Blatt 49, 50 der Akte), welches an einen Herrn xxxxxxxx gerichtet ist und in welchem sich das Ministerium wie folgt äußert: „Die Anordnung einer Benutzungspflicht für einen Radweg hat immer zugleich das Verbot der Fahrbahnbenutzung zum Inhalt (BVerwGE 138,159-166 = NJW 2011,1527-1529). Diese Anordnung ist ein belastender Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung und unterliegt daher auch den Anforderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Ein Verwaltungsakt ist demnach nichtig, der faktisch nicht befolgt werden kann (§ 44 VwVfG). Bei der beidseitigen Benutzungspflicht kann ein Gebot nicht be­folgt werden, ohne gegen ein anderes gleichrangiges Gebot zu verstoßen. Die Nichtig­keit einer solchen Anordnung hat zur Folge, dass Radfahrer in dieser Situation den rechten oder linken Radweg (und wohl auch sogar die Fahrbahn) benutzen können. Von einem Wahlrecht bei einer solchen Anordnung geht auch der Bundesgerichtshof aus (BGH, Urteil vom 29.10.1996 (VI ZR 310/95) = NJW 1997, 395 – 396 = NZV 1997, 70).“

Zudem verweist der Kläger auf die Auffassung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die in ihrem Bericht „Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung – Sicherheits­verbesserungen“ vom September 2015 auf Seite 18 (Blatt 46 der Akte) unter der Über­schrift „Rechtliche Vorgaben und Planungsempfehlungen für innerörtliche Zweirich­

 

tungsradwege“ und dem Kapitel „4.1 Aussagen der StVO und der VwV-StVO“ ausführt: „Nach § 2 Abs. 4 StVO besteht eine Pflicht, Radwege in der linken Fahrtrichtung zu benutzen nur, wenn dies in der Fahrtrichtung links durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist (Bild 4-1). Dies ist nur möglich bei einseitig benutzungspflichtigen Rad­wegen, denn eine beidseitige Anordnung einer Benutzungspflicht sowie die Kombinati­on einer Benutzungspflicht links mit einem Radweg ohne Benutzungspflicht auf der rechten Straßenseite ist nicht zulässig (vgl. Kapitel 11).“ In Kapitel 11 auf Seite 63 des Berichtes (Blatt 48 der Akte) wird unter der Überschrift „11.2 Mögliche Führung des linken Radverkehrs“ ausgeführt: „Eine Benutzungspflicht kann nur für Radverkehrsan­lagen auf einer Straßenseite angeordnet werden. Die

  • Anordnung einer Benutzungspflicht für Radverkehrsanlagen auf beiden Stra­ßenseiten oder
  • die Freigabe auf einer Straßenseite bei gleichzeitiger Benutzungspflicht auf der anderen Straßenseite

kann gemäß § 4, Abs 2 Nr. 4 VwVfG [ersichtlich: § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG] nichtig sein. Sie ist aus straßenverkehrsrechtlicher Sicht demnach nur bei Straßen bzw. Straßenab­schnitten mit baulicher Richtungstrennung zulässig.“

Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, auch in Zukunft damit rechnen zu müssen, von der Bußgeldstelle des Beklagten wegen Nichtbeachtung beidseitig stehender Verkehrszei­chen 240 StVO verfolgt zu werden. Er macht geltend, dass er im vorliegenden Fall ein Feststellungsinteresse habe. Es bestehe die Gefahr, dass sich eine solche Anordnung von Verkehrszeichen wiederhole. Denn der Kläger befahre auch die „Barrier Straße“, die sich unweit der „Ernst-Boden-Straße“ in Syke befinde und in der die tatsächliche und rechtliche Situation völlig identisch sei.

Der Kläger beantragt,

die Nichtigkeit der Verwaltungsakte in Gestalt der gleichzeitig beidseits der Landesstraße L 333 Ernst-Boden-Straße in Syke zwischen „Am Winklerfelde“ und der Bundesstraße 6 aufgestellten Verkehrszeichen 240 StVO „Geh-/Radwege mit Benutzungspflicht“ nachträglich festzu­stellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei bereits unzulässig. Denn der Kläger könne das notwendige Feststellungsinteresse nicht erfolgreich geltend machen. Außerdem sei die angegriffene Beschilderung der Radverkehrsanlagen nicht nichtig; sie gebe dem Radfahrer die Möglichkeit, einen der Radwege frei zu wählen. Zudem stellten die Ausführungen der BASt nur eine Entscheidungshilfe dar und seien für den Beklagten nicht bindend.

Aufgrund richterlicher Nachfrage hat der Beklagte mitgeteilt, dass die beidseitig auf der L 333 „Ernst-Boden-Straße“ im Abschnitt zwischen der Kreuzung der Straße „Schloß­weide“ bis zur Kreuzung mit der B 6 „Nienburger Straße“ angeordneten Verkehrszei­chen 240 StVO von der Beseitigungsanordnung vom 7. Januar 2016 nicht erfasst wor­den waren und mithin nicht entfernt wurden. Aufgrund verkehrsbehördlicher Anordnung vom 25. Juli 2016 hat der Beklagte nunmehr auch diese übrigen auf der linken Stra­ßenseite angebrachten Verkehrszeichen 240 StVO entfernen lassen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorzitierten Gerichtsakte, der Gerichtsakte zu einem weiteren Verfahren zwischen den Parteien (7 A 5186/16), der zugezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Verden (4 OWi 406 Js 52822/15 [376/15]) und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im erklärten Einverständnis der Beteilig­ten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klage ist zulässig (I.) und teilweise begründet (II.).

I. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist die statthafte Klageart. Denn der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit der verkehrsrechtli­chen Anordnung, aufgrund derer vormals gleichzeitig beidseitig der „Ernst-Boden­Straße“ die Verkehrszeichen 240 StVO aufgestellt wurden. Eine verkehrsrechtliche Anordnung ist ein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, § 35 Satz 2 VwVfG (BVerwG, Urt. v. 09.06.1967 – VII C 18.66 -, juris Rn. 2).

Festgestellt werden kann nicht nur die gegenwärtige Nichtigkeit eines Verwaltungsak­tes sondern bei einem diesbezüglichen berechtigten Interesse auch die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes zu einem früheren Zeitpunkt (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 43 Rn. 21 m.w.N.).

Der Kläger kann das erforderliche Feststellungsinteresse erfolgreich geltend machen, § 43 Abs. 1 VwGO. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 23). Bei der der Vergangenheit angehörenden Rechtsverhältnissen ist ein berechtigtes Interesse grundsätzlich nur anzuerkennen, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkung in der Gegenwart hat (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 25 m.w.N.). Entspre­chendes gilt für die Nichtigkeitsfeststellungsklage, wenn sich der in Rede stehende Verwaltungsakt erledigt hat, etwa weil er aufgehoben wurde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.10.1999 – 6 B 122/98 -, juris Rn. 2). Dann muss das Feststellungsinteresse aus den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für vergangene Rechtsverhältnisse entwickelt werden (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 25 m.w.N.). Dabei kann auch auf die Rechtsprechung hinsichtlich des Fortsetzungsfeststellungsinteresses des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zurückgegriffen werden (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 25 m.w.N.). Anhaltende Wirkungen werden bejaht bei Wiederholungsgefahr, fortdauernder Diskriminierung (Rehabilitationsinteresse) und um Amtshaftungs- oder Entschädi­gungsansprüche geltend zu machen (VG Köln, llrt. v. 23.09.2014 – 14 K 7066/13 -, juris Rn. 23ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Entscheidung, ob ein berechtigtes Interesse vorliegt, maßgeblich auf die im konkreten Einzelfall gegebene Interessenlage abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 18.02.2008 – 3 B 88/07 -, juris Rn. 4). Denn bei den oben genannten Fallgruppen handelt es sich ange­sichts der Vielfältigkeit denkbarer Fallgestaltungen, ihrer unscharfen Abgrenzung und der weiten Formulierung des Gesetzes lediglich um systematisierte Beispiele (Emme­negger in: Nomos Kommentar Verwaltungsrecht, 3. Aufl., § 113 VwGO Rn. 100). Ins­besondere sollte ihnen keine de facto normative Funktion zugewiesen werden, indem aus der fehlenden Subsumtion einer Konstellation unter eine Fallgruppe auf ein fehlen­des Feststellungsinteresse geschlossen wird (Emmenegger in: Nomos Kommentar Verwaltungsrecht, a.a.O., § 113 VwGO Rn. 100).

Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Rechtslage unklar ist, die zuständige Behörde insoweit anderer Auffassung ist als der Kläger und der Kläger sein zukünftiges Verhalten an der Feststellung orientieren will (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 24 m.w.N.). Die Feststellung ist im Hinblick darauf, dass dem Betroffenen nicht zuzumuten ist, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen auf der Ankla­gebank erleben zu müssen, sondern vielmehr diesbezüglich der Verwaltungsrechtsweg die fachspezifischere Rechtsschutzform ist, auch dann zu bejahen, wenn dem Kläger eine Strafanzeige oder ein Ordnungswidrigkeitsverfahren drohen, oder wenn ein straf­gerichtliches Verfahren oder ein Ordnungswidrigkeitsverfahren bereits anhängig ist (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 24; ebenso VG Augsburg, Urt. v. 01.10.2013 – Au 1 K 13.767 -, juris Rn. 15); und sogar dann, wenn eine strafgerichtliche Verurteilung bereits erfolgt bzw. ein Bußgeldbescheid bereits ergangen ist und damit auch eine Klärung durch den Strafrichter möglich ist oder möglich gewesen wäre (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 24 m.w.N.).

Das Feststellungsinteresse ist auch zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war, als „Genugtuung“ und/ oder zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergab (Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 142). Dabei handelt es sich um ein ideelles Interes­se an der Beseitigung oder Minderung einer Beeinträchtigung des Ansehens, also eine Fallkonstellation, in der es um die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme geht, die durch Inhalt oder Begleitumstände eine für den Betroffenen ehrenrührige Wir­kung hat (Rehabilitationsinteresse). Gemeint ist eine solche, welche über die eigentlich belastenden Verfügungen hinausgeht (Stuhlfauth in: Bader, VwGO, 6. Aufl., § 113 Rn. 70).

Vorliegend sind der Kläger und der Beklagte nach wie vor unterschiedlicher Auffas­sung. Der Beklagte geht erkennbar davon aus, dass die hier streitgegenständliche An­ordnung der beidseitigen Radwegbenutzungspflicht den Radfahrern die Möglichkeit gegeben habe, einen der Radwege frei zu wählen. Zu dieser verkehrsrechtlichen Situa­tion sind bisher verschiedene Meinungen vertreten worden (s.o). Eine verwaltungsge­richtliche Entscheidung liegt bislang – soweit bekannt – nicht vor. Die Rechtslage ist mithin unklar und der Ausgang des Rechtstreits ist somit auch entscheidungserheblich für das zukünftige Verhalten des Klägers. Dies gilt insbesondere, weil – nach dem Vor­trag des Klägers – eine vergleichbare Verkehrsgestaltung in Gestalt einer beidseitig angeordneten Radwegbenutzungspflicht in der „Barrier Straße“ in Syke existiert. Schon aus diesem Grund kann dem Kläger ein Feststellungsinteresse nicht per se abgespro­chen werden. Zudem kann eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung dazu dienen, die ehrenrührige Wirkung, die von der Verurteilung zur Zahlung eines Bußgeldbescheides ausgeht, zu mindern oder zu beseitigen. Zwar wendet sich der Kläger in diesem Ver­fahren gegen die verkehrsrechtliche Anordnung und nicht gegen den Bußgeldbe­scheid. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dem Kläger ein Feststellungsinteresse zu versagen, denn ein etwaiger Erfolg seiner Nichtigkeitsfeststellungsklage würde auch zu seiner Rehabilitation führen. Von einer ehrenrührigen Wirkung kann ausgegangen werden, weil der Kläger als Mitglied des ADFC im regelmäßigen Kontakt zum Beklag­ten steht, um sich aktiv für die straßenrechtlichen Belange von Fahrradfahrern im Landkreis Diepholz einzusetzen und seine fachlichen Kompetenz diesbezüglich in Fra­ge steht.

Das berechtigte Interesse entfällt nicht, weil der Kläger zuvor einen Antrag auf Feststel­lung der Nichtigkeit bei der Behörde gemäß § 44 Abs. 5 VwVfG gestellt hatte und die­sen nach dem vermeintlichen Abbau aller gegenständlichen Verkehrszeichen zurück­genommen hat. Denn dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger vor Erhebung der Feststellungsklage einen solchen Antrag gestellt hat und eine angemessene Frist noch nicht abgelaufen ist oder die Behörde die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes bereits festgestellt hat (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 20 m.w.N.). Vorliegend sind zwischen Stellung des Antrages nach § 44 Abs. 5 VwVfG und Erhebung der Klage bzw. Rück­nahme des Antrages bei der Beklagten mehr als drei Monate verstrichen. Das Abwar­ten von drei Monaten ist in Anlehnung an § 75 Satz 2 VwGO als angemessene Frist anzusehen.

Darüber hinaus ist die Stellung eines Antrages nach § 44 Abs. 5 VwVfG keine Zuläs­sigkeitsvoraussetzung der Nichtigkeitsfeststellungsklage (BSG, Urt. v. 23.02.1989 – 11/7 RAr 103/87 -, juris Rn. 17; Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 21 m.w.N).

II. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist in dem im Tenor ausgesprochenen Umfang begründet. Der Antrag des Klägers ist zwar auf die Feststellung der Nichtigkeit der ver­kehrsrechtlichen Anordnung – beidseitige Radwegbenutzungspflicht – gerichtet. Diese Fassung des Antrages schließt es jedoch nicht aus, gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ihre Rechtswidrigkeit festzustellen, wenn sich ergibt, dass der ihr anhaftende Fehler keine Nichtigkeit herbeiführt, sondern lediglich eine Anfechtbarkeit begründet hat. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist gegenüber der Feststellung seiner Nichtigkeit nach § 43 Abs. 1 VwGO ein Weniger, nicht aber etwas wesentlich anderes (BVerwG, Urt. v. 26.06.1970 – VII C 10.70 -, juris Rn. 11). Rechtswidrige Verwaltungsakte sind sowohl unwirksame, die infolge schwerer Mängel nichtig sind und keine rechtlichen Wirkungen äußern, als auch diejenigen, die zwar wirksam, aber wegen eines ihnen anhaftenden Mangels anfecht­bar sind. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Rechtswidrigkeit ist nur ein gradueller; sie stehen im Verhältnis weitreichenderer oder geringerer Rechtsfolgen, stellen aber nicht etwas grundsätzlich anderes dar (BVerwG, Urt. v. 26.06.1970 – VII C 10.70 juris Rn. 12). Die gleichzeitige Anordnung der Radwegebenutzungspflicht auf beiden Fahrbahnseiten ist zwar – sofern nicht baulich getrennte Richtungsfahrbahnen vorliegen – rechtswidrig aber nicht nichtig. Deshalb ist die weitergehende Klage unbe­gründet.

1. Eine Nichtigkeit nach § 44 VwVfG liegt nicht vor.

a. Sind in Fahrtrichtung sowohl der rechte als auch der linke Radweg mit dem Ver­kehrszeichen 240 StVO versehen, ist die damit angeordnete Radwegbenutzungspflicht nicht wegen tatsächlicher Unmöglichkeit gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig (an­ders: BASt, Blatt 48 der Akte: BMVI, Blatt 50 der Akte), weil dem Radfahrer die Wahl bleibt, den rechten oder linken Radweg zu benutzen. Eine entsprechende Auslegung ist dem Radfahrer möglich und zumutbar. Gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ist ein Ver­waltungsakt, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, nichtig. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die verkehrsrechtliche Anordnung enthält zwei Regelungen, nämlich die getrennte Anordnung der Radwegbenutzungspflicht für beide Straßensei­ten. Jede einzelne angeordnete Radwegbenutzungspflicht in Form des Verkehrszei­chens 240 StVO konnte ausgeführt werden, weil jede Radwegbenutzungspflicht bei isolierter Betrachtung befolgt werden konnte. Nur bei Berücksichtigung der Radver­kehrsanlage in ihrer Gesamtheit konnten beide Radwegbenutzungspflichten tatsächlich nicht gleichzeitig ausgeführt werden. Dabei ist jedoch zunächst zu ermitteln, was Inhalt der verkehrsrechtlichen Anordnung war. Der Inhalt der Erklärung des Verwaltungsak­tes richtet sich nicht nach der Vorstellung der Behörde, sondern es ist vielmehr auf den objektiven Erklärungsgehalt des bekannt gegebenen Verwaltungsaktes abzustellen, wie dieser von dem Adressat unter Berücksichtigung von Treue und Glauben (§§ 157, 242 BGB) verstanden werden konnte und durfte, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (Schwarz in: Nomos Kommentar Verwaltungsrecht, a.a.O., § 37 VwVfG Rn. 9). Aus dem objektiven Empfängerhorizont kann eine solche verkehrsrecht­liche Anordnung nur dahingehend verstanden werden, dass die Verkehrszeichen § 240 StVO die Benutzung der Straße ausschließen und den Radfahrer verpflichten sollten, einen der Radwege zu benutzen. Ein durchschnittlicher Radfahrer, der regelmäßig am Straßenverkehr teilnimmt, wird die getroffene Anordnung nicht in dem Sinne verstehen, dass von ihm etwas Unmögliches verlangt wird, in der Gestalt, seine Person „teilen“ zu müssen, um beiden Pflichten nachzukommen.

 

b.    Die verkehrsrechtliche Anordnung verlangt vom Radfahrer auch nicht die Begehung einer rechtswidrigen Tat im Sinne des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG, weil er eine der beiden gleichlautenden Gebote (Radwegbenutzungspflicht) befolgen kann und sich damit rechtmäßig verhält. Die durch Verkehrszeichen 240 StVO angeordnete Radwegbenut­zungspflicht verlangt an sich keine Begehung einer rechtswidrigen Tat; ihr Regelungs­gehaltfolgt aus der Anlage 2 zu § 41 StVO. Die gegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung, die eine beidseitige Beschilderung mit Verkehrszeichen 240 StVO zum Inhalt hatte, kann nicht dahingehend verstanden werden, dass der Beklagte von Rad­fahrern die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt. Denn der Tatbestand des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG ist dann nicht erfüllt, wenn die für die Verfolgung der Ordnungswid­rigkeit zuständige Fachbehörde wegen des ihr aufgrund des Opportunitätsprinzips zu­stehenden Ermessens (§ 47 OWiG) die betreffende Tätigkeit nicht unterbinden will (VG Potsdam, Urt. v. 09.12.1993 -1 K 54/93 -, juris Leitsatz 2). Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat geltend gemacht, dass die gleichzeitige beidseitige Anordnung dem Fahr­radfahrer die Möglichkeit lassen sollte, einen Radweg frei zu wählen und dieser sich

bei Befolgung einer der beiden Gebote auch rechtmäßig verhält. So ist die Anordnung auch objektiv zu verstehen (s.o.). Damit erklärte der Beklagte auch zumindest konklu­dent, nicht wegen eines Verstoßes gegen die jeweils gegenüberliegende Radwegbe­nutzungspflicht ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einleiten zu wollen, solange einer der beiden Radwege benutzt wird.

c.   Auch eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 VwVfG liegt nicht vor. Die streitgegenständli­che Anordnung der Radwegbenutzungspflicht auf beiden Fahrbahnseiten ist zwar rechtswidrig; der Fehler wiegt jedoch nicht besonders schwer und ist nicht offensicht­lich im Sinne von § 44 VwVfG, weil zumindest bei baulich getrennten Richtungsfahr­bahnen eine solche Anordnung rechtmäßig ergehen kann. Ein Fehler wiegt besonders schwer, wenn es mit der rechtsstaatlichen Ordnung und Anforderung an eine ord­nungsgemäße Verwaltung unvereinbar erscheint, dem Verwaltungsakt den Anschein der Wirksamkeit oder auch nur eine vorläufige Geltung zu lassen (Nds. OVG, Urt. v. 12.09.1997 – 1 L 5585/96 -, juris Rn. 2; Meyer in Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 44 Rn. 14). Eine Nichtigkeit kann bei schweren inhaltlichen Fehlern vorliegen. So ist ein völlig un­verständlicher Verwaltungsakt nichtig (Meyer in Knack, a.a.O., § 44 Rn. 22). Bereits das Vorliegen eines schweren Fehlers muss hier jedoch verneint werden, denn zum einen ist Ziel der Radwegbenutzungspflicht in erster Linie, die Radfahrer von der Fahr­bahn fernzuhalten (König in: Hentschel, König, Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2 StVO Rn. 67). Dieses Ziel wurde durch die Anordnung erreicht. Zum anderen ist eine beidseitige Benutzungspflicht unstreitig zulässig, soweit für die Straße oder den

Straßenabschnitt eine bauliche Richtungstrennung besteht; bei dieser Ausnahme ist zu berücksichtigen, dass die Abgrenzung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann und sich dementsprechend schon ausschließt, dass es sich bei einer beidseitigen angeord­neten Radwegbenutzungspflicht um einen besonders schwerwiegenden Fehler han­delt.

Darüber hinaus muss der besonders schwerwiegende Fehler bei verständiger Würdi­gung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sein, um zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes zu führen, § 44 Abs. 1 VwVfG. Das ist hier ebenfalls nicht der Fall.

Die Fehlerhaftigkeit muss dem Verwaltungsakt „auf die Stirn“ geschrieben sein, d. h. es dürfen ernsthafte Zweifel, dass der Verwaltungsakt doch rechtmäßig sein könnte, nicht bestehen (VG Dresden, Urt. v. 07.03.2007 – 5 K 2283/02 -, juris Rn 74). Die schwere Fehlerhaftigkeit muss sich geradezu aufdrängen (Nds. OVG, Urt. v. 27.06.2007, a.a.O., juris Rn. 28). Nur in einem solchen Fall ist es nämlich aus Gründen der Rechtssicher­heit vertretbar, einem Hoheitsakt alle mit ihm beabsichtigten Rechtswirkungen von An­fang an zu nehmen (Meyer in Knack, a.a.O., § 44 Rn. 22). Der objektive Maßstab eines unvoreingenommenen, nicht unbedingt sachkundigen, aber aufgeschlossenen Be­trachters ist maßgebend (VG Dresden, Urt. v. 07.03.2007 – 5 K 2283/02 -, juris Rn 74). Besondere Rechts- oder Fachkenntnisse dürfen bei dem fiktiven Durchschnittsbetrach­ter nicht vorausgesetzt werden, jedoch muss von der zu erwartenden durchschnittli­chen Erkenntnisfähigkeit eines Angehörigen des Personenkreises ausgegangen wer­den, dem der Betroffene angehört (Meyer in Knack, a.a.O., § 44 Rn. 29). Ein unvorein­genommener Betrachter – hier Radfahrer – erkennt, dass er aufgrund von Zeichen 240 StVO die Fahrbahn nicht benutzen darf und dass die gleichzeitige beidseitige Anord­nung der Radwegbenutzungspflicht durch Verkehrszeichen 240 StVO dem Radfahrer die Möglichkeit eröffnen soll, alternativ auf beiden Seiten der Straße den Radweg be­nutzen zu dürfen (s.o.).

 

2.  Die auf beiden Fahrbahnseiten der „Ernst-Boden-Straße“ L 333 in Syke zwischen der Einmündung der Straße „Am Winklerfelde“ und der Kreuzung mit der Bundesstraße 6 angeordneten Verkehrszeichen 240 StVO (Gemeinsamer Geh- und Radweg mit Radwegbenutzungspflicht) waren jedoch rechtswidrig, weil diese Anordnung von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Bei der Anordnung eines Ge- und Verbots han­delt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, der nach dem Grundsatz des Vor­behalts des Gesetzes einer formell-gesetzlichen Grundlage bedarf.

Dem Ge- und Verbot zu Verkehrszeichen 240 StVO in Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO kann entnommen werden, dass sich die Radwegbenutzungspflicht des Verkehrszei­chens 240 StVO immer auf einen bestimmten Radweg in der jeweiligen Fahrtrichtung bezieht, vgl. auch § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO. Die StVO kennt kein Verkehrszeichen, wel­ches die Radwegbenutzungspflicht auf beiden Fahrbahnseiten in gleicher Fahrtrichtung anordnen kann, sodass es diesbezüglich an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt (vgl. NLBStV, Blatt 20 der Akte; BASt, Blatt 46, 48 der Akte). Die Ermächtigung, eine solche Radverkehrsanlage auszuweisen, ist auch nicht in einem anderen Gesetz vorgesehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1,124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung misst die Kammer der hier ent­scheidungserheblichen und noch nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsfrage bei, ob in Fahrtrichtung beidseitig einer Straße ohne getrennte Richtungsfahrbahnen angeord­nete Verkehrszeichen 240 StVO (Gemeinsamer Geh- und Radweg mit Radwegbenut­zungspflicht) nichtig sind.

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Warum dieses Theater?

Nicht zuletzt ging es darum, dass die Radwege der Landesstraße 333 seit ewigen Zeiten völlig verlottert sind. Gemeinsame Geh-/Radwege MIT Gegenverkehr sind nur 1,00 Meter schmal. Gibt es so etwas?

Unabhängig von dem OWi-Verfahren wird die Entfernung der ‚Lollis‘ jetzt also auf dem Verwaltungsrechtsweg vorangetrieben. [Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit / Antrag auf Neubescheidung L333]

Kurz darauf wurden die linksseitigen ‚Lollis‘ abgeschraubt. Damit wurden die nichtigen ‚Lollis‘ auf der rechten Seite plötzlich zu einer echten Radwegbenutzungspflicht — auf einem nur 1,00 Meter schmalen Weg statt der vorgeschriebenen 2,50 Meter. Anfechtungsklage ist demnächst geboten. Man kann gespannt sein, welches Ermessen ausgeübt wurde.
Über die Nichtigkeit doppelseitiger Lollis hat sich die Behörde keine Gedanken gemacht. Obgleich die linken Lollis abgeschraubt wurden, wurde dem Radfahrer kein Bescheid geschrieben.


18 Kommentare

  1. Unter Berufung auf dieses Urteil mache ich derzeit der Stadt München derzeit ein wenig Feuer unter’m H*ntern, weil wir hier vielfach solche doppelseitigen Anordnungen haben.
    Nun möchte sie die Sache an einer Stelle wie folgt ändern (https://www.ris-muenchen.de/RII/BA-RII/topmitvorgang_details.jsp?Id=6702260):
    „Beibehaltung der Radwegbenutzungspflicht unter Aufhebung der linken Radwegebenutzungspflicht und Einführung eines beidseitigen linken Radwegbenutzungsrechts“.
    Aus meiner Sicht ist allerdings jeder Radfahrende gezwungen, die rechte Benutzungspflicht zu beachten, das linksseitige Benutzungsrecht nützt schlicht nichts, weil die Pflicht vor dem Recht „gewinnt“. Spannend könnte es werden, wenn ein Radfahrer, welcher (irrtümlich als Geisterfahrer) links fährt mit einem ihm entgegenkommenden Radfahrer kollidiert. Haftet dann womöglich die Straßenverkehrsbehörde?

    • Hi Martin, die Kammer in Hannover dürfte wohl auch auf ‚rechtswidrig, aber nicht nichtig‘ entscheiden. Was das VG Münschen denkt, weiss der Geier. Zutreffend verweist Du auf rechts ‚muss‘ und links ‚kann‘. Aber die Schlüsse, die ein unbedarfter Radfahrer daraus ziehen kann, sind lt. VG Hannover durchaus einfacher Natur. Niemand muss mit der StVO unter dem Arm herumlaufen und erstmal nachgucken, ob eine Beschilderung rechtmäßig und nicht nichtig ist. Also wäre das linke ‚Radfahrer frei‘ wohl vom durchschnittlichen Menschen so zu interpretieren, dass man dort fahren darf. Blauer Lolli auf der rechten Seite hin oder her. Was ein Amtsgericht hingegen entscheiden würde, falls die Polizei Dich beim Linksfahren krallt und vor den Kadi bringt, das mag dahingestellt sein. — Aber mit dem Amtgericht begann ja auch der Doppel-Lolli-Fall: ich bin mit Gopro auf der Fahrbahn gefahren und habe eine Selbstanzeige wegen Verstoßes gegen Z 240 geschrieben. Das Amtsgericht wollte die von mir behauptete Nichtigkeit+Rechtswidrigkeit des Doppel-Lollis nicht anerkennen und verknackte mich zum Bußgeld wegen Ordnungswidrigkeit. Im Übrigen verwies mich die Amtsrichterin an das Verwaltungsgericht, was ich dann auch tat. Somit ist der Doppel-Lolli jetzt geklärt und es gibt sogar hübsche Mustertexte für die Zulässigkeit einer nachträglichen Feststellungsklage.
      Doch zurück zu Deiner Frage: Rechtswidrig dürfte die Anordnung sein / Klagen kannst Du nicht, weil Du links ja nicht fahren musst / Selbst bei Unfällen dürfte einer der Radfahrer einen Fahrfehler begangen haben, so dass die Kommune i.d.R. trotz Rechtswidrigkeit der Anordnung raus ist

      • Danke, Holger für die Stellungnahme. Ich vermute, dass die gesamte Stelle neu von der Behörde angeordnet wird, insofern ist die Jahresfrist ziemlich sicher kein Problem. Der Verkehr dort auf der Fahrbahn hält sich in Grenzen, insofern werde ich über eine Anfechtungsklage nachdenken. Bisher hingen die Schilder leider schon „zu lange“, um das noch angehen zu können.
        Wo finde ich denn sonst die „hübschen Mustertexte“? 🙂

      • Mustertexte

        In dem Verfahren zum Doppel-Lolli hatte ich ja zum ersten Male eine ’nachträgliche Feststellungsklage‘ gemacht. Die Hürden für die Zulässigkeit sind relativ hoch, aber die Kammer ist meinen Argumenten gefolgt und hat sogar noch das eine oder andere Argument hinzugefunden. Vielleicht kann man die Klageart mal wieder gebrauchen.
        Deine Anfechtungsklage sollte über „Erfordernis / Verhältnismäßigkeit“ gute Aussichten haben, jedenfalls wenn man sich die Bilder auf Mapillary ansieht.

  2. Gabi Köpke on

    Zur Aufstellung von Straßenverkehrsschildern.
    Ich habe hier vor Ort einen Schilderstreich. Ein auf ganzer Breite ausgewiesener gem. Geh- und Radweg mit Zusatzschild „Anlieger frei“ wurde im Einmündungsbereich umgebaut. Ein durch Bord erhöhter Gehweg wurde auf dem ebenerdigen obendrauf gesetzt. Für etwa 20 m. Jetzt sieht das Ganze wie Fahrbahn plus Gehweg aus. Sollte aber eigentlich lt. neuem Bebauungsplan im Einmündungsbereich verkehrsberuhigter Bereich werden. Das Vz. 240 blieb während der Bauphase und für etwa 1 Monat rechts neben des neuen Gehwegs stehen. Anfang Oktober wurde das Vz. 240 auf die linke Seite der Straße versetzt. Auf meine Anfrage im Amt erhielt ich die Antwort: Das Schild soll für die gesamte Breite des Damerower Weges gelten. Mein Hinweis auf StVO § 39 (2) „Als Schilder stehen sie regelmäßig rechts. Gelten sie nur für einzelne markierte Fahrstreifen, sind sie in der Regel über diesen angebracht.“ wurde mit dem Hinweis auf die VwV zur StVO zu Vz. 240 abgewiesen. Dort habe ich nichts gefunden. Erneuter Anruf brachte als Antwort: § 41 Abs.2. Weder dort noch in der VwV dazu habe ich zum Aufstellungsort von Straßenverkehrsschildern bzw. zum Vz. 240 etwas gefunden. Der momentane Zustand sagt ja aus: Der Radverkehr darf nicht die Fahrbahn, sondern muss den gemeinsamen Geh- und Radweg benutzen. (Der Damerower Weg ist Teil des internationalen Fernradwegs Berlin-Kopenhagen). Das hieße jetzt, auf dem Straßenbegleitgrün Fahrrad fahren.

    Wissen Sie zum Aufstellungsort von Straßenverkehrsschildern vllt. mehr als die Behörde?

  3. Gibt’s denn schon ein Urteil? Der Termin am 1.3. müsste ja inzwischen gewesen sein.

    • Gibt’s denn schon ein Urteil?

      Leider nur mündlich, aber nichts Schriftliches. Die Richterin war ziemlich quakig, dass sie sich mit sowas befassen musste. Ich solle es beim Verwaltungsgericht versuchen, wenn mich die Lollis stören. Mit der Nichtigkeits-Problematik 2er Z240 hat sie sich nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Da ich aber darauf beharrte, die Wege nicht benutzen zu müssen, wurde ich verknackt. Mal abwarten, wie die Begründung aussieht.

      • Hast Du denn vor, die Nichtigkeit vor dem VG feststellen zu lassen? Wobei das nach der Umschilderung ja nun schwierig(er) geworden ist. Allerdings dürfte das BenutzungsRECHT auf der einen Seite schlicht sinnlos sein, weil es immer von der BenutzungsPFLICHT auf der anderen „überstimmt“ wird. Die Feststellung der Nichtigkeit ist zum Glück an keine Frist gebunden und kann jederzeit beantragt werden.
        Hat die Verwaltung eigentlich bei der Umschilderung erneut Ermessen ausgeübt und einen neuen Verwaltungsakt erlassen? Dann könntest Du ja hilfsweise vor der VG noch einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit aus den üblichen Gründen stellen, solange die Jahresfrist nicht verstrichen ist.

      • Hast Du denn vor, die Nichtigkeit vor dem VG feststellen zu lassen?

        Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig: denn das Ordnungsamt (Bußgeldstelle) wird mich wieder verknacken, sobald ich doppelte Lollis nicht beachte; es gibt derer immer noch einige in dieser Gegend. Insoweit ist es mir sowieso suspekt, weshalb das Ordnungsamt (StVB) andererseits die doppelten Lollis an dieser einen Stelle fortgeräumt hat. Offensichtlich ist man sich bei der Ordnungsbehörde nicht einig; umso mehr ist eine Klärung erforderlich.
        Wegen ‚Wiederholungsgefahr‘ ist auch die nachträgliche Feststellungsklage zulässig.

        Hat die Verwaltung eigentlich bei der Umschilderung erneut Ermessen ausgeübt und einen neuen Verwaltungsakt erlassen?

        Auf jeden Fall gab es durch die Umschilderung neue Verwaltungsakte (dem Verkehrsteilnehmer gegenüber), so dass wieder Anfechtungsklage möglich ist. Denn jetzt MUSS man die meter-schmalen Geh-/Radwege tatsächlich benutzen.

        Allerdings dürfte das BenutzungsRECHT auf der einen Seite schlicht sinnlos sein

        Ja, ja, aber sie stellen es trotzdem auf, was soll man da sagen?

  4. Bitte dranbleiben – bin genau auf diesem Stück schon mehrfach nur knapp einem Unfall mit aus- oder einfahrenden PKW entgangen.
    Furchtbarer Radweg – und eine Buckelpiste noch dazu.

    • Angebl. hat der Landkreis am 21.09.2016 den Austausch der „Lollis“ gegen „Gehweg – Radfahrer frei“ auf ganzer Länge und beiden Straßenseiten angeordnet.

      • Kann ich bestätigen. Ist jetzt komplett aufgehoben worden!

  5. Ich habe das mit der Nichtigkeit übrigens schriftlich aus dem Bundesverkehrsministerium, für den Fall, dass Du da was „Offizielles“ brauchst“. Grüße Martin.

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