Bescheidungsurteil zur Radwegbenutzungspflicht auf linken Radwegen unter Berücksichtigung der sicheren Querungsstelle am Beginn und Ende des Radweges.
Verwaltungsgericht Hannover
Im Namen des Volkes
Urteil
7 A 6675/17
In der Verwaltungsrechtssache
XXXXXXXX
– Kläger –
gegen
Landkreis Diepholz – FD BürgerService und Straßenverkehr –
vertreten durch den Landrat,
XXXXXXXXXX
– Beklagter –
wegen Radwegbenutzungspflicht
hat das Verwaltungsgericht Hannover – 7. Kammer – am 14. August 2019 durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Ufer, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Held, den Richter am Verwaltungsgericht Gonschior sowie die ehrenamtlichen Richter XXX und XXX für Recht ohne mündliche Verhandlung erkannt:
Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger auf seinen Antrag vom 5. April 2017 im Hinblick auf die Radwegbenutzungspflicht (Zeichen 240) auf der K 121 „Smeer Ort“ zwischen der Einmündung der „Okeler Straße“ im Ortsteil Okel und der Einmündung der „Friedeholzstraße“ im Ortsteil Osterholz sowie
auf der L 340 „Nordwohlder Dorfstraße“ zwischen der Einmündung der „Rolandstraße“ im Ortsteil Nordwohlde und der Einmündung der Straße „Pestinghausen“ im Ortsteil Pestinghausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bescheidung seines Antrags vom 5. April 2017 auf Überprüfung der Radwegbenutzungspflicht entlang der K 121 und der L 340. In seinem Antrag weist er unter anderem darauf hin, dass die Schaffung sicherer Querungsmöglichkeiten am Ortsausgang Okel in Fahrtrichtung Osterholz (K 121) sowie am Ortsausgang Nordwohlde in Fahrtrichtung Syke (L 304) erforderlich sei, damit Radfahrer von der Fahrbahn auf die jeweils in Fahrtrichtung links angelegten gemeinsamen Geh- und Radwege gelangen könnten.
Der streitbefangene Abschnitt der K 121 „Smeer Ort“ verläuft zwischen den Ortsteilen Okel und Osterholz der Stadt Syke in Nord-Süd-Richtung. Die Radwegbenutzungspflicht (Zeichen 240: Gemeinsamer Geh- und Radweg) beginnt auf der Straße „Smeer Ort“ am Ortsausgang von Okel. An dieser Stelle wurde überdies das Gefahrenzeichen 138 (Radverkehr) aufgestellt. Der gemeinsame Geh- und Radweg befindet sich am Ortsausgang Okel östlich der Fahrbahn der K 121.
Der streitbefangene Abschnitt der L 340 „Nordwohlder Dorfstraße“ verläuft zwischen der Einmündung der „Rolandstraße“ im Ortsteil Nordwohlde und der Straße „Pestinghausen“ im Ortsteil Pestinghausen in West-Ost-Richtung. Die Radwegbenutzungspflicht beginnt am Ortsausgang von Nordwohlde (Zeichen 240: Gemeinsamer Geh- und Radweg). An dieser Stelle wurde überdies das Gefahrenzeichen 138 (Radverkehr) aufgestellt. Der gemeinsame Geh- und Radweg befindet sich nördlich der Fahrbahn der „Nordwohlder Dorfstraße“. Radfahrer müssen, um an der Einmündung der „Rolandstraße“ im Ortsteil Nordwohlde auf den gemeinsamen Geh- und Radweg zu gelangen, die linke Fahrbahn überqueren.
Unter dem 14. November 2012 ordnete der Beklagte entlang der K 121 für den Abschnitt 60/Station 2256 bis zum Abschnitt 60/Station 984 eine Beschilderung nach Zeichen 240 StVO und damit eine Radwegbenutzungspflicht an. Zudem wurde das Gefahrenzeichen 138-10 (Radfahrer kreuzen) vor dem jeweiligen Ende des gemeinsamen Geh- und Radweges angeordnet.
Am 2. Januar 2014 stellte der Beklagte fest, dass das jeweilige Ende der Radwegabschnitte entlang der K 121 nicht an einer sicheren Querungsstelle erfolge, und ordnete die vorübergehende Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht für den Abschnitt 60 von Station 0,0 bis 0,3 und weiter bis Station 1,0 verkehrsbehördlich an.
Im Zuge des Neubaus des Radweges entlang der K 121 nahm der ortsansässige Kläger als Mitglied des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs Landkreis Diepholz (im Folgenden: ADFC) mit E-Mails vom 26. Februar 2014 sowie vom 8. März 2014 gegenüber der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr zu den Planungen Stellung. Unter dem vom 8. März 2014 führte er sowohl gegenüber der Landesbehörde als auch gegenüber dem Beklagten aus, dass der Wechsel von der rechten Fahrbahnseite auf den Radweg am Ortsausgang der Ortschaft Okel gefahrenträchtig sei und es an dieser Stelle zu Unfällen kommen könne.
Am 2. November 2015 ordnete der Beklagte für die K 121 im Abschnitt 40 von Station 2101 bis Station 1550 an, das Zeichen 239 StVO (Gehweg) mit dem Zusatzzeichen 1022-11 StVO (Radfahrer frei) aufzustellen. Im Hinblick auf den „weiteren Verlauf der Nebenanlage bis zum Abschnittt 40/Station 0“ wurde die Aufstellung des Zeichens 240 StVO angeordnet. Aus beiden Fahrtrichtungen im Abschnitt 40/Station 0 sei schließlich das Gefahrzeichen 138 (Radfahrer kreuzen) aufzustellen. Die verkehrsbehördliche Anordnung wurde nicht begründet. Die Anordnung wurde am 17. November 2015 umgesetzt.
Unter dem 5. April 2017 wendete der Kläger sich an den Beklagten. Er beantragte eine Bescheidung im Hinblick auf die Radwegbenutzungspflicht für die K 121 von Syke/Okel in Richtung Gödesdorf sowie der L 304 von Bassum-Nordwohlde in Richtung Syke, die er als Alltags- und Tourenradfahrer regelmäßig befahre. Zur Begründung führte er aus: Die Pflicht zur Benutzung der Radwege, die nur auf einer Straßenseite angelegt seien, beginne auf freier Strecke. Es fehlten Querungsstellen, die durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vorgeschrieben seien. Man müsse, wolle man auf den Radweg wechseln, jeweils ungesichert links abbiegen. Auf diese Weise würden zusätzliche Gefahren für die Verkehrsteilnehmer geschaffen.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er sich, soweit er Nachbesserungen der Baumaßnahmen verlange, direkt an den Straßenbaulastträger wenden solle. Aus verkehrsbehördlicher Sicht könne „dieses“ nur unterstützt werden, da sowohl die K 121 als auch die L 304 seit Jahren ein erhöhtes Unfallgeschehen ausweisen würden. Überdies gebe es dort vielfach hohe Fahrtgeschwindigkeiten sowohl von Fahrern von Personenkraftwagen als auch von Motorradfahrern. Eine Radwegbenutzungspflicht sei daher „dringend geraten“.
Auf die Nachfrage des Klägers vom 8. Juli 2017 teilte der Beklagte unter dem 13. Juli 2017 mit, dass eine Bescheidung wegen der unveränderten Verkehrslage für nicht erforderlich gehalten werde; eine Radwegbenutzungspflicht außerhalb der geschlossenen Ortschaften sei weiterhin notwendig. Zudem leitete der Beklagte eine Ausfertigung der Schreiben des Klägers an die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr zur Kenntnisnahme weiter und bat darum, im Rahmen der Straßenüberwachung die Markierungen der Nebenanlagen im Bereich der Einmündungen untergeordneter Straßen zu prüfen.
Der Kläger hat am 23. Juli 2017 Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Die Klage sei zulässig, denn seit der Antragstellung seien mehr als drei Monate vergangen. Zwar habe sich der Beklagte mit seinem Anliegen befasst, eine Bescheidung jedoch abgelehnt. Er begehre das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, nachdem eine Anfechtung der aufgestellten Verkehrszeichen nicht mehr zulässig sei. Das Fehlen der Querungsstreifen für den Radverkehr begründe einen abhilfebedürftigen Sicherheitsmangel, denn gerade der mit hoher Geschwindigkeit fahrende Verkehr gefährde ihn bei der durch die Radwegbenutzungspflicht begründeten Verpflichtung zum Überqueren der Fahrbahn, um auf den Radweg zu gelangen. Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (im Folgenden: ERA 2010) befürworteten die Einrichtung von Querungsstreifen außerhalb der Knotenpunkte dort, wo einseitige Zweirichtungsradwege begännen oder endeten. Gleiches ergebe sich aus der Verwaltungsvorschrift zu § 2 der Straßenverkehrsordnung.
Der Begriff der „Landstraße“, der in der ERA 2010 verwendet werde, sei nicht deckungsgleich mit dem Begriff der „Landesstraßen“ des § 3 Abs. 1 Nr. 1 NStrG. Eine Verweisung an den Träger der Straßenbaulast sei „bizarr“, denn der Beklagte könne sichere Querungsstreifen auch durch straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen hersteilen. Soweit der Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens weitere Erwägungen gegen die Schaffung sicherer Querungsstreifen schriftsätzlich vortrage, sei ein solches Nachschieben von Gründen unzulässig, da kein Bescheid erlassen worden und daher auch kein Ermessen ausgeübt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, den Kläger auf seinen Antrag vom 5. April 2017 im Hinblick auf die Radwegbenutzungspflicht (Zeichen 240) auf der K 121 „Smeer Ort“ zwischen der Einmündung der „Okeler Straße“ im Ortsteil Okel und der Einmündung der „Friedeholzstraße“ im Ortsteil Osterholz sowie auf der L 340 „Nordwohlder Dorfstraße“ zwischen der Einmündung der „Rolandstraße“ im Ortsteil Nordwohlde und der Einmündung der Straße „Pestinghausen“ im Ortsteil Pestinghausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, die Klage sei unzulässig und unbegründet: Die Klage sei unzulässig, da der Kläger bereits als Vertreter des ADFC zumindest an den Planungen der Nebenanlage entlang der K 121 beteiligt gewesen und sein Vorbringen gehört worden sei; eine Klärung mit dem Straßenbaulastträger hätte bereits zu dieser Zeit erfolgen können. Die einjährige Anfechtungsfrist sei überdies verstrichen. Eine erneute Entscheidung werde im Hinblick auf das bis Herbst 2015 durchgeführte Verfahren als nicht erforderlich angesehen; der Beklagte habe dem Kläger überdies mit der Zusage einer entsprechenden Unterstützung an den Straßenbaulastträger verwiesen. Eine Bescheidung im Hinblick auf die K 121 sei deshalb nicht notwendig, da sich seit der Planung im Jahr 2014 „keine gravierenden Änderungen bei der Fahrzeugbelastung oder dem baulichen Zustand ergeben“ hätten. Überquerungsanlagen seien nach Kapitel 5 der ERA 2010 überdies nur dann zwingend notwendig, wenn bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h die Verkehrsstärke mehr als 1000 Fahrzeuge in der Stunde betrage. Die K 121 habe allerdings lediglich eine Verkehrsbelastung von 1287 Fahrzeugen, die L 340 sei mit 2151 Fahrzeugen täglich belastet. Es habe kein Unfallgeschehen an den streitbefangenen Stellen gegeben; auch ein verstärktes Auftreten von Senioren, Schülern oder Freizeitverkehr gebe es nicht. Es trete hinzu, dass die L 340 etwa 200 Meter westlich des Ortsausganges an einer Fußgängersignalanlage überquert werden könne, so dass die Vorgaben der Verwaltungsvorschrift dahingehend nicht durchgreifen würden. Alle zwei Jahre würde überdies eine Regelverkehrsschau der Straßen im Gebiet des Beklagten durchgeführt; in diesem Rahmen finde eine regelmäßige Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit der verkehrsbehördlichen Maßnahmen statt. Schließlich sei die Bescheidung der verkehrsbehördlichen Anordnung, die nur wenige Jahre zuvor ergangen sei, nicht notwendig.
Auf die Anforderung des Gerichts zur Vorlage des Verwaltungsvorgangs zur Radwegbenutzung entlang der L 340 erläuterte der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Februar 2019, dass die verkehrsbehördliche Anordnung im Hinblick auf die Radwegebenutzungspflicht entlang der L 340 am 16. September 2014 im Rahmen der Regelverkehrsschau ausgesprochen und am 25. September 2014 angeordnet worden sei.
In der Niederschrift über die Regelverkehrsschau ist über eine dahingehende verkehrsbehördliche Anordnung nichts vermerkt; auch die verkehrsbehördliche Anordnung vom 25. September 2014 enthält dazu nichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2017 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Februar 2019 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Klage ist zulässig und begründet.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis zu Gunsten des Klägers.
1. Der Umstand, dass die streitbefangenen verkehrsbehördlichen Anordnungen gegenüber dem Kläger bereits Bestandskraft erlangt haben, steht der Zulässigkeit der erhobenen Verpflichtungsklage in Gestalt der Bescheidungsklage nicht entgegen. Da es sich bei den Verkehrsregelungen durch Verkehrszeichen um Dauerverwaltungsakte handelt, obliegt es dem Beklagten, die (fortdauernde) Rechtmäßigkeit der Regelung zu kontrollieren (vgl. bereits VG Hannover, Urteil vom 17. Januar 2018 – 7 A 2194/16 -, juris, Rn. 27). Dem trägt auch die VwV-StVO Rechnung, indem sie zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO in ihrer Rn 29 bestimmt, dass die Straßenverkehrsbehörde, die Straßenbaubehörde und die Polizei gehalten sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Radverkehrsanlagen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen und den Zustand der Sonderwege zu überwachen (ibid.). Den von der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung Betroffenen ist daher auch nach Eintritt der Bestandskraft die Möglichkeit eröffnet, bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Überprüfung der durch ein Verkehrszeichen getroffenen Regelung zu stellen und dieses Begehren gegebenenfalls in der Form der Verpflichtungsklage gerichtlich weiterzuverfolgen (vgl. ibid, unter Verweis auf VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 14 K 5458/08 -, juris, Rn 41; im Ergebnis auch VG Braunschweig, Urteil vom 16. April 2013 – 6 A 64/11-, juris, Rn 44 m.w.N.).
2. Auch der Umstand, dass der Kläger als Vertreter des ADFC im Jahr 2014 an den Planungen des Radweges entlang der K 121 angehört worden ist, führt nicht zu einer dahingehenden Versagung des Rechtsschutzbedürfnisses oder gar einer Präklusion des klägerischen Vorbringens. Es ist keine gesetzliche Vorschrift ersichtlich, die es dem Kläger verbietet, sich mehrfach mit seinem Vorbringen an die Behörde – bzw. im Anschluss daran – an das Gericht zu wenden. Der Kläger hat zudem im Rahmen des Anhörungsverfahrens sowohl auf den Punkt des fehlenden Erfordernisses eines Radweges als auch auf das Erfordernis der Schaffung sicherer Querungsstellen hingewiesen. Die Beklagte hat ihre Entscheidung jedoch zu Ungunsten der vorgetragenen Belange des Klägers getroffen.
3. Der Kläger hat sein Klagerecht vorliegend auch nicht verwirkt. Zwar kann die Befugnis zur Anrufung der Gerichte im Einzelfall verwirkt sein, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 1. April 2014 -Au 3 K 13.1358 -Juris, Rn. 17; VGH München, Beschluss vom 22. Januar 2014 – 7 ZB 13.10359 – juris; BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2012 – 1 BvR 2862/11, 1 BvR 2046/12 -, juris, Rn. 3). Eine Verwirkung kommt dann in Betracht, wenn sich der Berechtigte verspätet auf sein Recht beruft (Zeitmoment) und unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Anhaltspunkte dafür sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Bereits eine verspätete Berufung auf sein Recht kommt in dieser Sachverhaltskonstellation nicht in Betracht: Die verkehrsbehördliche Anordnung, deren Überprüfung der Kläger begehrt, wurde Ende des Jahres 2015 – am 2. November 2015 – erlassen. Im April des Jahres 2017 – und damit nur knapp anderthalb Jahre später – hat sich der Kläger erneut an die Behörde gewandt. Ein Zeitraum von solcher Dauer vermag in dieser Konstellation die Verwirkung nicht zu begründen. Insbesondere durfte der Kläger abwarten, ob der Beklagte die von ihm im Anhörungsverfahren vorgetragenen Aspekte zu den sicheren Querungsstellen noch aufgreift. Außerdem ist dem Kläger überdies zuzugestehen, dass er die Auswirkungen der verkehrsbehördlichen Anordnung und deren Auswirkungen auf den Straßenverkehr zunächst beobachtet.
II. Die Klage ist überdies begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung im Hinblick auf die Anordnung der Radbenutzungspflicht – auch im Hinblick auf die Schaffung sicherer Querungsanlagen – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO (vgl. bereits VG Braunschweig, Urteil vom 16. April 2013 – 6 A 64/11 -, juris, Rn. 46 m.w.N.) Anspruchsgrundlage sind hingegen nicht die Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (§ 48, § 49 VwVfG). Diese sind bei der Aufhebung von Verkehrszeichen nicht anwendbar (vgl. VG Braunschweig, ibid, unter Verweis auf Nds. OVG, Beschluss vom 5. Dezember 2003 -12 LA 467/03 -, juris, Rn. 11 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 14 K 5458/08 -, juris, Rn. 59).
2. Für die Bescheidung des Klägers ist die Beklagte zuständig. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 StVO bestimmen die Straßenverkehrsbehörden, wo und welche Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen anzubringen und zu entfernen sind. Die Straßenbaubehörden legen ausweislich Satz 2 vielmehr die Art der Anbringung und der Ausgestaltung fest.
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Radweges dürften vorliegen; sie folgen aus §45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 3 StVO. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen – nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Hiervon ausgehend setzt die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht eine qualifizierte Gefahrenlage voraus, die sich aus den besonderen örtlichen Verhältnissen ergibt. Diese können in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der konkreten Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 32/09 -, juris Rn. 21; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 6. September 2018 – 3 A 278/16 -, juris; Rn. 34). Für ein Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dürfte insbesondere die von dem Beklagten vorgetragenen hohe Fahrgeschwindigkeit von Fahrzeugen sowie Motorrädern und die erhöhte Anzahl von Unfällen auf der Strecke sprechen (so das Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 2017).
4. Bei der Bescheidung des klägerischen Antrags im Hinblick auf die verkehrsbehördliche Anordnung der Radwegbenutzungspflicht entlang der K 121 und der L 340 hat sich die Behörde im Rahmen der Ausübung des Ermessens mit den Vorgaben der VwV-StVO sowie den technischen Regelwerken auseinander zu setzen und die verschiedenen Belange auf dieser Grundlage abzuwägen. Eine solche Abwägung ist bisher nicht nicht erfolgt.
a) Die Straßenverkehrsbehörde hat grundsätzlich einen Ermessensspielraum, wie sie eine bestehende Konfliktlage bewältigt (vgl. VG Hannover, Urteil vom 14. Juni 2016 – 7 A 13494/14 – juris, Rn. 27). In ihrer Ermessensentscheidung hat sie die betroffenen bzw. widerstreitenden Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten umfassend gegeneinander abzuwägen und die Konfliktlage für alle Verkehrsteilnehmer zumutbar aufzulösen (ibid., m.w.N.). Dabei ist die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung zunächst an die Vorgaben der VwV-StVO gebunden (ibid, unter Verweis auf Nds. OVG, Beschluss vom 5. Dezember 2003 – 12 LA 467/03 -, juris, Rn. 14). Die Verwaltungsvorschrift soll – im Rahmen der Bundesaufsicht bei landeseigenem Vollzug von Bundesrecht – gewährleisten, dass verkehrsbehördliche Anordnungen im ganzen Bundesgebiet nach den gleichen Grundsätzen erfolgen (vgl. VG Hannover, ibid.). Es handelt sich dabei im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, die eine einheitliche Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite sicherstellen soll. Die Straßenverkehrsbehörde kann im Ergebnis der Abwägung auch von den Vorgaben der VwV-StVO abweichen. Dies setzt aber einen atypisch gelagerten Sachverhalt voraus (ibid., m.w.N.), eine aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse nochmals deutlich gesteigerte Gefährdung der Radfahrer bei Benutzung der Fahrbahn bzw. eine Gefährdungssituation auf der Fahrbahn, die auch mit Blick auf einen den Vorgaben der VwV-StVO nicht genügenden Ausbauzustand des Radwegs nicht hinnehmbar ist (ibid., m.w.N.).
b) Die VwV-StVO verweisen in Randnummer 13 zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO hinsichtlich der Gestaltung von Radverkehrsanlagen auf die ERA 2010. Die Empfehlungen der ERA 2010 sollen eine Grundlage für Planung, Entwurf und Betrieb von Radverkehrsanlagen bilden und verschiedene planerische und technische Richtlinien ergänzen und vertiefen (S. 7 ERA 2010, so bereits VG Hannover, ibid., Rn. 28). Die Kammer hält es für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht zwar nicht für zwingend erforderlich, dass die Radwege in sämtlichen Belangen den Anforderungen der ERA 2010 entsprechen. Hiergegen spricht bereits, dass die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO eine andere Zielrichtung hat als sie den Vorgaben der ERA 2010 innewohnt: Die ERA 2010 beschreiben auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse (idealtypisch) die Anlage von Radverkehrswegen mit dem Ziel, Gefahren für den Rad- und sonstige Verkehre so weit wie möglich zu reduzieren. Bei der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht hat die Verkehrsbehörde hingegen in einer gegebenen besonderen Gefährdungssituation bei Benutzung der Fahrbahn abzuwägen, ob dem Radverkehr die verpflichtende Benutzung eines Radweges zugemutet werden kann, weil hiermit geringere Gefahren als bei der Benutzung der Fahrbahn einhergehen, sodass die Radwegebenutzungspflicht im Ergebnis der Verkehrssicherheit dient (ibid., m.w.N.). Den Vorgaben der ERA 2010 lassen sich allerdings oftmals Anhaltspunkte für eine möglichst gefahrenarme Führung des Radverkehrs entnehmen. Abweichungen von den Vorgaben können Anhaltspunkte für Gefahrenpotenziale anzeigen. Ist dies der Fall, muss die Straßenverkehrsbehörde sich mit diesen Gefahrenpotenzialen im Rahmen der Entscheidung nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO begründet auseinandersetzen (ibid.).
c) In den Randnummern 33 bis 38 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu § 2 Absatz 4 Satz 3 und 4 StVO heißt es zur Freigabe linker Radwege (Radverkehr in Gegenrichtung):
„1. Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden.
2. Auf baulich angelegten Radwegen kann nach sorgfältiger Prüfung die Benutzungspflicht auch für den Radverkehr in Gegenrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 oder ein Benutzungsrecht durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ (1022-10) angeordnet werden.
3. Eine Benutzungspflicht kommt in der Regel außerhalb geschlossener Ortschaften, ein Benutzungsrecht innerhalb geschlossener Ortschaften ausnahmsweise in Betracht.
4. Am Anfang und am Ende einer solchen Anordnung ist eine sichere Querungsmöglichkeit der Fahrbahn zu schaffen.
5. Voraussetzung für die Anordnung ist, dass
a) die lichte Breite des Radweges einschließlich der seitlichen Sicherheitsräume durchgehend in der Regel 2,40 m, mindestens 2,0 m beträgt;
b) nur wenige Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreiche Grundstückszufahrten zu überqueren sind;
c) dort auch zwischen dem in Gegenrichtung fahrenden Radfahrer und dem Kraftfahrzeugverkehr ausreichend Sicht besteht.
6. An Kreuzungen und Einmündungen sowie an verkehrsreichen Grundstückszufahrten ist für den Fahrzeugverkehr auf der untergeordneten Straße das Zeichen 205 .Vorfahrt gewähren.“ oder Zeichen 206 .Halt. Vorfahrt gewähren.“ jeweils mit dem Zusatzzeichen mit dem Sinnbild eines Fahrrades
und zwei gegengerichteten waagerechten Pfeilen (1000-32) anzuordnen.
Zum Standort der Zeichen vgl. Nummer I zu Zeichen 205 und 206. Bei Zweifeln, ob der Radweg noch zu der vorfahrtberechtigten Straße gehört vgl. Nummer I zu § 9 Absatz 3; Randnummer 8.“
Aus dem Abschnitt 9.5 der ERA 2010 (Bl. 74) folgt ebenfalls, dass Zweirichtungsradwege am Anfang und am Ende eine Möglichkeit zur sicheren Querung erfordern:
„Die Ausbildung des Überganges zwischen freier Strecke und Ortsdurchfahrten soll dem Radverkehr einen sicheren und komfortablen Wechsel der Straßenseite am Anfang und Ende von einseitigen Radverkehrsanlagen ermöglichen, _ den sicheren Übergang bei wechselnder Führungsform (z. B. vom Radweg auf die Fahrbahn) gewährleisten und _ die Geschwindigkeiten im Kraftfahrzeugverkehr dämpfen.
Zweirichtungsradwege erfordern nach der VwV-StVO am Anfang und am Ende eine Möglichkeit zur sicheren Überquerung der Fahrbahn.
Die Ausbildung der Überquerungsstelle richtet sich unter anderem nach den jeweils miteinander zu verknüpfenden Radverkehrsführungen auf der freien Strecke und in der Ortsdurchfahrt (…).
Damit Mittelinseln geschwindigkeitsdämpfend wirken, sollen sie gemäß den RASt mindestens 3,50 m breit sein. Damit wird eine beiderseitige Versatztiefe von mindestens 1,75 m erreicht. Sie sollen wartendem Radverkehr eine Aufstellmöglichkeit bieten (vgl. Abschnitt 2.25). Weitere Hinweise zur Gestaltung von Ortseinfahrtsbereichen sind den RASt, Abschnitt 6.2.21, zu entnehmen.“
d) Der Beklagte wird sich hinsichtlich der Radwege entlang der K 121 sowie der L 340 hinreichend mit den Vorgaben der VwV-StVO und der ERA 2010 auseinandersetzen müssen (zur Anwendung der ERA 2010 auf die K 121 vgl. VG Hannover, Urteil vom 14. Juni 2016 – 7 A 13494/14 -, juris, Rn. 28 ff.). Die verkehrsbehördliche Anordnung vom 2. November 2015, die sich auf die K 121 bezieht, enthält keine Begründung. Im Hinblick auf die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht entlang der L 340 konnte der Beklagte dem Gericht keinerlei Unterlagen vorlegen, aus denen hervorgeht, dass eine Ausübung des Ermessens stattgefunden hat und welche Erwägungen für die Beklagte entscheidend waren. Auch die im Rahmen des Klageverfahrens vorgetragenen Aspekte führen zu keiner anderen Bewertung. Bei der Bescheidung des klägerischen Antrags im Hinblick auf die verkehrsbehördliche Anordnung der Radwegbenutzungspflicht entlang der K 121 und der L 340 wird sich die Behörde insbesondere mit der Schaffung einer sicheren Querungsmöglichkeit für die Radfahrer am Anfang und am Ende des streitbefangenen Radweges auseinandersetzen müssen. Dies folgt sowohl aus Randnummer 36 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu § 2 Absatz 4 Satz 3 und 4 StVO als auch aus den Vorgaben der ERA 2010. Hier gilt, dass die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung an die Vorgaben der ermessenslenkenden VwV-StVO gebunden ist und eine Abweichung einen atypisch gelagerten Sachverhalt voraussetzt. Für eine Ermessenreduktion auf „Null“ ist nichts ersichtlich.
Nicht ausreichend ist nach Auffassung der Kammer die Beschilderung durch das Verkehrszeichen 138. Dies allein stellt keine sichere Querungsmöglichkeit der Fahrbahn im Sinne der Verwaltungsvorschrift dar, sondern gibt allein den Hinweis auf den die Fahrbahn überquerenden Radverkehr (vgl. auch ERA 2010, S. 72 ff. mit zahlreichen Beispielen für Querungsmöglichkeiten wie etwa die Anlage von Mittelinseln oder einer Lichtsignalanlage). Ebenfalls keine ausreichende sichere Querungsmöglichkeit stellt die Fußgängersignalanlage an der L 340 etwa 200 Meter westlich des Ortsausganges dar. Ausweislich Randnummer 36 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu § 2 Absatz 4 Satz 3 und 4 StVO sowie dem Abschnitt 9.5 der ERA 2010 ist die sichere Querungsmöglichkeit am Anfang und am Ende der Anordnung – und nicht 200 Meter weit entfernt – zu schaffen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.