Erneuter Widerspruch: Radwegbenutzungspflicht

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Der neue Bescheid der StVB spiegelte keineswegs die Auffassung des Gerichts/Urteils wider. Also war erneut Widerspruch geboten.


Gemeinde Stuhr
Herrn xxxxx
Blockener Str. 6
28816 Stuhr

Weyhe, 12. Februar 2004

 

Widerspruch

gegen Ihren Bescheid „Beschilderung des gemeinsamen Fuß- und Radweges in der Gottlieb-Daimler-Straße im Ortsteil Brinkum“, Az 31.32 72 01

 

Sehr geehrter Herr xxxxxx,

hiermit lege ich Widerspruch gegen Ihren Bescheid vom 13. Januar 2004, zugestellt am 14.01.2004, wegen Ihrer Anordnungen im Straßenverkehr in der Gottlieb-Daimler-Straße in Stuhr-Brinkum ein. Den Bescheid haben Sie aufgrund des Urteiles des Verwaltungsgerichtes Hannover vom 23.07.2003 geschrieben.

 

Begründung

 

1.

Sie schreiben: „Im Rahmen der der Gemeinde Stuhr aus dieser Rechtsvorschrift zustehenden Ermessensentscheidung beabsichtige ich in Anlehnung an die Verwaltungsvorschriften zu § 2 Abs. 4 StVO ausnahmsweise und befristet aufgrund der verkehrlichen Verhältnisse die Radwegbenutzungspflicht aufrecht zu erhalten.“

1.1.

Aus Ihrem Bescheid kann ich die Ermessensabwägung nicht nachvollziehen. Sie bestätigen darin lediglich, dass Sie unverrückbar eine einzige Führungsvariante betrachtet haben und sich dann für diese entschlossen haben, nämlich die des linken Radweges.

Für eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen wären m.E. andere Alternativen, z.B. Schutzstreifen, die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr auf der Fahrbahn, rechte Radwege o.ä. zu prüfen gewesen, die nach Vorgabe der StVO bzw. VwV-StVO der Regelfall für die Führung des Radverkehrs sein sollen.

Die Nichtumsetzbarkeit dieser Regelfälle hätte dargelegt werden müssen, bevor die Abwägung zugunsten des doppelten Ausnahmetatbestandes „linker untermaßiger Radweg“ hätte stattfinden dürfen.

1.2.

Zum anderen haben Sie auch nicht abgewogen, ob nicht eine Anordnung mit milderer Einschränkung meiner Rechte als Radfahrer den selben Sinn erfüllt. Seit Aufhebung der generellen Radwegbenutzungpflicht am 01.10.1998 soll die Radwegbenutzungspflicht nur noch in begründeten Ausnahmefällen angeordnet werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätten Sie prüfen müssen, ob die Anordnung von Zeichen 239 „Gehweg“ mit dem Zusatzzeichen 1022-10 „Radfahrer frei“ den gewünschten Zweck ebenso erfüllt. Zumal der Weg nach 130 Metern endet und dann ohnehin als „Gehweg – Radfahrer frei“ weitergeführt wird.

 

Die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde, die ohne Erwägung von Alternativen am linken Radweg festhält, leidet deshalb an Ermessensunterschreitung durch Nichtgebrauch.

2.

Die Gemeinde Stuhr beruft sich auf ihre Rechte nach § 45 Abs. 1 und 3 StVO und wendet diese in Verbindung mit § 2 Abs. 4 StVO an.

M.E. verkennt die Straßenverkehrsbehörde, dass sie durch § 45 Abs. 9 StVO gebunden ist:

 

§ 45 Abs. 9 StVO

„Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Abgesehen von der Anordnung von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. …“

Beim Z 240 „gemeinsamer Geh- und Radweg“ handelt es sich wegen der damit verbundenen Radwegbenutzungspflicht um eine Beschränkung des fließenden Verkehrs, weil es gegenüber Radfahrern wie das Zeichen 254 für die Fahrbahn wirkt. (VG Hannover, Urteil v. 23.07.2003, VG Berlin, Urteil vom 28. 9. 2000)

Die von der Straßenverkehrsbehörde angeordnete Verkehrsbeschränkung (linksseitige Radwegbenutzungspflicht) muss also zusätzlich geeignet sein, das allgemeine Risiko des Rechtsfahrens mit dem Fahrrad auf der Fahrbahn, auch im Kreuzungsbereich und an Einmündungen, erheblich zu vermindern.

 

Kettler, NZV 2002, 64, „§ 45 IX StVO – ein übersehener Paragraf?“

               „…Offenkundig rechtswidrig sind heute die weitaus meisten Anordnungen einer Radwegebenutzungspflicht mit den Zeichen 237, 240 oder 241. Die Gründe des genannten VG Berlin-Urteils übertragen auf andere Orte bedeutet die Rechtswidrigkeit fast aller Radwegschilder bundesweit. Die Verwaltungspraxis geht vielerorts dahin, Radwege jedenfalls dann als benutzungspflichtig auszuschildern, wenn sie den Mindestmaßen der VwV-StVO entsprechen und oft auch dann, wenn nicht einmal diese Mindestvoraussetzungen vorliegen. Als Grund dafür wird zumeist behauptet, für Radfahrer sei es sicherer, auf Radwegen zu fahren, obwohl der Gesetzgeber mit der StVO-Novelle von 1997 gerade festgeschrieben hatte, dass Radwege den Radfahrern aus Sicherheitsgründen nicht zumutbar sind, wenn sie nicht einige Mindestvoraussetzungen erfüllen. Konkrete, streckenbezogene Verkehrssicherheitsgründe – wie sie die oben skizzierte Rechtsprechung und Literatur mit guten Gründen einhellig verlangt – sind für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nahezu nirgends bekannt. Sie werden von den Straßenverkehrsbehörden soweit ersichtlich bisher noch nicht einmal behauptet. Noch weniger werden Unfallraten überhaupt auch nur ermittelt. Auch eine Überprüfung, ob eine etwaige Gefahr nicht durch ein milderes Mittel gemildert werden kann, findet vor der Anordnung eines solchen Verkehrsverbots kaum jemals statt. In Betracht kämen aber immerhin neben baulichen Maßnahmen Markierungen und vor allem Beschränkungen desjenigen Verkehrs, von dem die Gefahren ausgehen, vor denen die Radwegebenutzungspflicht die Radfahrer vorgeblich schützen soll. Allerdings wird von den Straßenverkehrsbehörden häufiger auf Verfügungen nach § 46 II StVO verwiesen. Der aber gibt keine Befugnis dazu, von den normativen Voraussetzungen des § 45 I , IX StVO für den Erlass von verkehrsbehördlichen Anordnungen abzuweichen. …“

2.1.

Nach meiner Auffassung ist die angeordnete Maßnahme nicht geeignet, eine geringeres Risiko der Radfahrer, in einen Unfall verwickelt zu werden, herbeizuführen:

Denn das Linksfahren ist eben wegen seiner besonderen Gefährlichkeit grundsätzlich verboten.

Die überproportionale Gefährlichkeit der in Fahrtrichtung links angelegten Radwege ist u.a. auch in der Radfahrer-Unfallanalyse der Gemeinde Stuhr aus dem Jahre 1992 belegt.

Außerdem endet der Radweg nach 130m an der Kreuzung Carl-Benz-Straße und zwingt zum Fahrbahnwechsel. Auch dieses Fahrmanöver ist wiederum mit einem überproportionalen Risiko behaftet, das das kontinuierliche Fahren im Mischverkehr auf der Fahrbahn der Gottlieb-Daimler-Straße deutlich übersteigen dürfte.

In der Gottlieb-Daimler-Straße ist für die von der Bremer Straße kommenden, nach links in die Carl-Benz abbiegenden Kraftfahrzeuge ein Linksabbiegerstreifen eingerichtet, der auf einen nennenswerten Abbiegeverkehr hindeutet, was wiederum ein Hinweis auf die ganz besondere Gefährdung der linksfahrenden Radfahrer ist.

2.2.

Die Anordnung der Gemeinde Stuhr vom 13.01.2004 ist nicht erforderlich.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat in seinem Urteil vom 23.07.2003 festgestellt, dass es nicht zwingend erforderlich ist, in der Gottlieb-Daimler-Straße Radwege anzulegen oder gar die Radwegbenutzungspflicht vorzuschreiben, denn die Verkehrsdichte und die gefahrenen Geschwindigkeiten, belegt durch die Zählung der Gemeinde Stuhr, rechtfertigt keine Verkehrsbeschränkung des Radverkehrs:

VG Hannover, Urteil vom 23.07.2003, Az. 11A5004/01

              „Andere zwingende Umstände zur Begründung der streitigen Radwegebenutzungspflicht lassen sich nach Auffassung der Kammer nicht feststellen. Die von der Beklagten festgestellte Verkehrsdichte auf der Gottlieb-Daimler-Straße reicht nicht aus. Der von der Bremer Straße in Richtung Rudolf-Diesel-Straße von der Beklagten festgestellte Verkehr beschränkte sich zum Zeitpunkt der Verkehrserhebung auf täglich 2.665 Fahrzeuge, von denen sich 2.069 Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von weniger als 40 km/h bewegen. Ein geschätzter Lkw-Anteil von 10 bis 20% führt keine besondere Gefahrensituation herauf, die die Anlage eines gesonderten Radweges oder gar eine Radwegebenutzungspflicht zwingend erforderlich machen. Eine solche Verkehrsdichte lässt eine Überquerung – vor allem bei der Anlage entsprechender Hilfen – für Fußgänger und Radfahrer ohne weiteres zu. Dies gilt auch für den Kreuzungsbereich zur Bremer Straße. Zwar ist es einfacher und grundsätzlich auch naheliegend, den nördlich anfallenden Radfahrverkehr auf der gleichen Seite der Gottlieb-Daimler-Straße bis zur Rudolf-Diesel-Straße zu leiten. Ein zwingender Grund hierfür besteht jedoch nicht….“

 

Diese zentrale Aussage des Verwaltungsgerichtes finde ich in Ihrem Bescheid nicht wieder, obgleich die Gemeinde Stuhr doch verurteilt wurde, mich unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Auch für eine ausnahmsweise befristete Anordnung nach VwV-StVO zu §2 Abs.4 S.3 I. 4 (Rn.33) ist Voraussetzung, dass die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht „unerlässlich“ ist, was in der Gottlieb-Daimler-Straße nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtes eben nicht der Fall ist.

Während die Gottlieb-Daimler-Straße ja nur eine Nebenstraße ist und in ein Sackgassen-ähnliches Gewerbegebiet führt, hat das Verwaltungsgericht Berlin kürzlich auch für eine vielbefahrene, mehrspurige Hauptverkehrsstraße keine atypischen Umstände gelten lassen, die eine Ausnahmegenehmigung rechtfertigen würden:

 

VG Berlin, Urteil vom 12.11.2003, Az. VG 11 A 606.03

               “… Im Übrigen fehlt es an einem für eine Ausnahmegenehmigung erforderlichen atypischen Sachverhalt. Die von der Straßenverkehrsbehörde mit dem Ausgangsbescheid angeführten Umstände, insbesondere der (nicht weiter belegte) hohe Anteil des Schwerlastverkehrs und die hohe Verkehrsbelastung sind keine – für eine innerstädtische (jeweils zweispurige) Hauptverkehrsstraße Berlins – atypischen Umstände. Gleiches gilt für die vom Beklagten geltend gemachten Aufwändungen wegen der bei Wegfall der Radwegbenutzungspflicht erforderlichen Änderung der Signalzeitpläne an den Lichtzeichenanlagen, die aus „personellen und finanziellen Gründen gegenwärtig nicht leistbar“ seien und an den großen Knotenpunkten aus „steuerungstechnischen Gründen abgelehnt“ würden. Im Übrigen ist dieser Umstand kein sachgerechtes Kriterium für die Frage der Erforderlichkeit der Radwegbenutzungspflicht, die in erster Linie eine Frage der Verkehrssicherheit und damit von Gesundheit und Leben (vor allem) der Radfahrer ist. Bei dieser Frage dürfen monetäre Gesichtspunkte keinesfalls den Ausschlag geben und zu einer Hinnahme von solchen Gefahren führen. Die vom Beklagten erstellte Verkehrsunfallstatistik zeigt gerade, dass bei den 96 im Erhebungszeitraum von April bis Dezember 1999 ermittelten Unfällen mit Radfahrerbeteiligung innerhalb der streitigen Radwegstrecke in 32 Fällen und damit in einem Drittel aller Fälle ein Fehler der Kfz-Fahrer beim Abbiegen die Unfallursache war. Ebensowenig begründet der vom Beklagten geltend gemachte (nicht weiter belegte) Umstand, jede Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Spandauer Dammes, zum Beispiel durch Radfahrer auf dem rechten Fahrstreifen, führe zu erheblichen Störungen des gesamten innerstädtischen Verkehrs, einen Ausnahmefall. Der Leichtigkeit des (motorisierten) Verkehrs darf gegenüber der Sicherheit von Radfahrern kein Vorrang eingeräumt werden. …“

2.3.

Soweit die Gemeinde Stuhr Querungserfordernisse und Orientierungsbedarfe geltend macht, die an der Kreuzung Bremer Straße (B6) aus historischen Gründen (noch) unvollständig sind, so dass dem Radverkehr z. Zt. keine regelgerechte Überquerung dieses Knotenpunktes angeboten werden kann, mag ich mich nicht damit zufrieden geben, dass dieser Zusand der Lichtsignalanlage unveränderlich sein soll.

Wie bereits vor dem Verwaltungsgericht abschließend verhandelt, handelt es sich um eine eher normale Kreuzungssituation. Die Gemeinde Stuhr hätte in ihrer Ermessensabwägung eine Nachrüstung der Lichtsignalanlage an der Kreuzung zur Bremer Straße zumindest ergebnisoffen untersuchen müssen.

2.4.

Der Schwerlastverkehrsanteil rechtfertigt die Anordnung der linksseitigen Radwegbenutzungspflicht ebenfalls nicht. Zum einen ist die Verkehrsstärke und vor allem das Geschwindigkeitsniveau nicht allzu hoch, siehe oben.

Zum anderen endet der Radweg 130 Meter hinter der Bremer Straße (B6) an der Kreuzung zur Carl-Benz-Straße. Die Radfahrer müssen dann auf die rechte Fahrbahnseite wechseln und dabei die Fahrlinie der Lastkraftwagen ungeschützt kreuzen, sofern sie nicht mit Schrittgeschwindigkeit auf einem schulterbreiten Gehweg weiterfahren.

Nach den Verkehrssicherheitserkenntnissen, die in die StVO-Novelle eingeflossen sind, ist es wesentlich sicherer, kontinuierlich auf der rechten Seite im Sichtbereich der Lkw zu fahren, als nach 130 Metern vor den Lkw zu kreuzen.

2.5.

Eine VV-gemäße bauliche Breite ist notwendig aber nicht hinreichend, um die Radwegbenutzungpflicht in der Gottlieb-Daimler-Str. anzuordnen.

Zwar hat sich das Verwaltungsgericht Hannover im Urteil vom 23.07.2003 allein auf die mangelhafte Breite gestützt und andere Aspekte wie die sichere Führung an Kreuzungen und Einmündungen oder die Stetigkeit nicht weiter untersucht. Das reichte für das VG-Urteil auch aus, denn zur Anordnung der Radwegbenutzungspflicht müssen alle Voraussetzungen aus Rn. 15 ff. erfüllt sein. Die Nichterfüllung des notwendigen Kriteriums „Breite“ war bereits ein ‚knock-out’.

Doch neben der notwendigen Voraussetzung der Breite mangelt es dem Radweg an der ebenso notwendigen Stetigkeit und der sicheren Gestaltung an Kreuzungen und Einmündungen:

 

II. Radwegbenutzungspflicht

 

(Rn. 15):    Voraussetzung für die Kennzeichnung ist, dass

1.      eine für den Radverkehr bestimmte Verkehrsfläche vorhanden ist oder angelegt werden kann. Das ist der Fall, wenn
[…]

(Rn. 16):    2.      die Benutzung des Radweges nach der Beschaffenheit und dem Zustand zumutbar sowie die Linienführung eindeutig, stetig und sicher ist. Das ist der Fall, wenn
[…]

(Rn. 25):              c.  die Linienführung im Streckenverlauf und die Radwegeführung an Kreuzungen und Einmündungen auch für den Ortsfremden eindeutig erkennbar, im Verlauf stetig und insbesondere an Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen Grundstückszufahrten sicher gestaltet sind.

 

Die Gemeinde Stuhr will einen 130 Meter langen linken Weg als benutzungspflichtiges Fragment widmen. Das hat mit einem stetigen Radweg nichts zu tun, wenn man nach 130 Metern die (vermeintlich gefährliche) Fahrbahn kreuzen muss, um auf der rechten Fahrbahnseite weiterzufahren.

Die Möglichkeit, auf dem mit „Radfahrer frei“ freigegebenen Gehweg weiterfahren ist wegen dessen Breite von knapp über 1 Meter und der mit dessen Benutzung vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit indiskutabel.

 

2.6.

Die Anordnung ist nicht verhältnismäßig.

Die Gemeinde Stuhr hat m.E. keine ernsthafte Prüfung oder Aktivitäten unternommen, um den Störer, von dem die behauptete Gefahr ausgehen soll, in den Griff zu bekommen. Zu denken wäre an eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40 km/h, Reduzierung der Fahrstreifenzahl oder der Fahrstreifenbreiten zugunsten von Schutzstreifen oder Radfahrstreifen.

Stattdessen wird der Radverkehr als „Störer“ behandelt, indem er von der Fahrbahn verbannt und auf ungeeignete linke Radwege abgedrängt wird.

 

3.

Sie beziehen sich in Ihrer Entscheidung im Wesentlichen auf VwV-StVO zu § 2 Zu Abs. 4 Satz 3 und die dazu im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg anlässlich der Ablehnung Ihres Antrages auf Zulassung zur Berufung vorgetragenen Gedanken wegen der Möglichkeit einer befristeten Anordnung der Radwegbenutzungspflicht für sog. „andere Radwege“.

3.1.

Zu allererst bin ich befremdet, dass der Bescheid der Gemeinde Stuhr einen Aspekt des Oberverwaltungsgericht Lüneburg, welches lediglich über die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung zu entscheiden hatte, zur Grundlage seiner Entscheidung macht.

Und dass fast gar nicht auf die im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover geäußerten Rechtsmeinungen eingegangen wird, die einzig und allein für diesen Bescheid und das weitere Verfahren maßgeblich sein sollten.

3.2.

Um die Anwendbarkeit der vom OVG angemerkten VwV-Bestimmung zu prüfen, ist zuerst die StVO heranzuziehen:

 

StVO, § 2 Abs. 4 Satz 3

„Andere rechte Radwege dürfen sie benutzen“

 

§2 Abs. 4 Satz 3 StVO versteht unter dem Begriff „andere Radwege“ also ausdrücklich rechte Radwege. Das ist auch konsequent, weil das Linksfahren ja nach StVO wegen seiner Gefährlichkeit grundsätzlich verboten ist. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO versteht ebenfalls nur rechte Radwege als „andere Radwege“:

 

VwV-StVO zu § 2 Zu Absatz 4 Satz 3

I. Andere Radwege

Rn. 30:

1.      Andere Radwege sind baulich angelegt und nach außen erkennbar für die Benutzung durch den Radverkehr bestimmt. Sie sind jedoch nicht mit dem Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet. Solche Radwege kann der Radverkehr in Fahrtrichtung rechts benutzen. Es kann aber nicht beanstandet werden, wenn sie der Radverkehr nicht benutzt.
[…]

Rn. 33:

4.      Ist die Kennzeichnung der Radwegebenutzungspflicht unerläßlich, erfüllt der andere Radweg aber noch nicht die (baulichen) Voraussetzungen, kann die Kennzeichnung ausnahmsweise und befristet vorgenommen werden, wenn die Belange der Verkehrssicherheit gewahrt bleiben. Bei der Straßenbaubehörde sind gleichzeitig Nachbesserungen anzuregen.

Rn. 34:

5.      Scheidet auf absehbare Zeit eine solche Herstellung des anderen Radweges aus und ist auch die an sich unerläßliche Kennzeichnung der Radwegebenutzungspflicht nicht möglich, soll dessen Auflassung bei der Straßenbehörde angeregt werden. Gleichzeitig sollen andere Maßnahmen (Radfahrstreifen, Schutzstreifen) geprüft werden.

 

Aus der Definition des Begriffes „Andere Radwege“ in § 2 Abs. 4 Satz 3 StVO und dem Kontext der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 3 geht hervor, dass der Normengeber die Bestimmungen zu „Anderen Radwegen“ ausschließlich für in Fahrtrichtung rechts zu benutzende Radwege formuliert hat. Die gelegentlich benutzte verkürzte Schreibweise „andere Radwege“ in der kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die StVO ausdrücklich und ausschließlich nur rechte Radwege benennt.

Wegen des gleichzeitigen grundsätzlichen Verbotes des Linksfahrens und des ausdrücklichen Hinweises in der amtlichen Begründung zur StVO und der VwV-StVO zur Gefährlichkeit von linken Radwegen wäre es auch widersinnig, unter der Ausnahmeregelung für rechte andere Radwege die untermaßigen linken Radwege einzubeziehen.

3.3.

Wenn auch linke Radwege „andere Radwege“ sein könnten, so ist es trotzdem nicht richtig, dass die Nebenanlage in der Gottlieb-Daimler-Straße ein „Anderer Radweg“ ist.

„Andere Radwege“ müssen nach außen erkennbar für den Radverkehr bestimmt sein, sie müssen also sowohl von der Fahrbahn als auch vom Gehweg baulich unterscheidbar sein. Denn sie sind ja gerade nicht mit den Zeichen 237, 240, 241 gekennzeichnet.

In der Gottlieb-Daimler-Straße ist die einzige Nebenanlage als eine gemeinsame Fläche ausgebildet, und das ist dann ohne weitere Beschilderung ein Sonderweg „Gehweg“. Ein Gehweg ist aber kein „anderer Radweg“.

3.4.

Die Rn. 34 gibt ebenfalls ein Indiz für die mit „andere Radwege“ gemeinten Wege.

Wenn die Kennzeichnung der Radwegbenutzungspflicht nicht möglich ist, dann soll die Auflassung angeregt werden – das könnte nie so geschrieben worden sein, wenn unter „andere Radwege“ auch die „gemeinsamen Geh- und Radwege“ fallen würden, denn dann wäre die Option „Gehweg – Radfahrer frei“ ausgeschlossen.

3.5.

Im übrigen trennt die VwV-StVO systematisch „linke Radwege“ und „andere Radwege“, was ebenfalls keinen Zweifel daran läßt, dass die Ausnahmeregelung für „andere Radwege“ (Rn. 33) auch wirklich nur für „andere Radwege“ gelten soll und nicht für „linke Radwege“:

 

VwV-StVO zu § 2 Zu Absatz 4 Satz 3

I. Andere Radwege

Rn. 30:             1.          …

Rn. 31:             2.          …

Rn. 32:             3.          …

Rn. 33:             4.          …

Rn. 34:             5.          …

II. Freigabe linker Radwege für die Gegenrichtung

Rn. 35:             1.  …

 

 

4.

Das Linksfahren ist wegen seiner Gefährlichkeit grundsätzlich verboten.

 

VwV-StVO, Zu § 2, Zu Abs. 4 Satz 3, Rn. 35

II. Freigabe linker Radwege für die Gegenrichtung

Rn. 35:       1.      Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist mit besonderen Gefahren verbunden und deshalb aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht erlaubt. Links angelegte Radwege können allerdings, wenn eine sorgfältige Prüfung nichts Entgegenstehendes ergeben hat, durch die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall mit Zeichen zur Benutzung durch die Radfahrer auch in Gegenrichtung freigegeben werden. Davon soll außerorts bei nur einseitig angelegten Radwegen in der Regel und inner­orts nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden.

4.1.

Die Gefährlichkeit der in Fahrtrichtung links angelegten Radwege ist u.a. auch in der Radfahrer-Unfallanalyse der Gemeinde Stuhr aus dem Jahre 1992 belegt:

Von 106 Unfällen mit Radfahrerbeteiligung wurden 43 Unfälle (40,6 %) mit in Fahrtrichtung links fahrenden Radfahrern registriert. Da der Anteil der linksfahrenden Radfahrer gegenüber den rechtsfahrenden Radfahrern deutlich kleiner gewesen sein dürfte, ist das Risiko in einen Unfall verwickelt worden zu sein, für die in Stuhr legal und illegal links fahrenden Radfahrer deutlich höher als für die auf der Fahrbahn rechts oder auf Radwegen rechts fahrenden Radfahrer.

Es ist also nicht sachgerecht, das Fahrbahnverbot und den Zwang zum Fahren auf dem linken Radweg mit „Sicherheit“ begründen zu wollen, wenn das Risiko zu verunglücken auf linken Radwegen in Stuhr wie überall deutlich höher ist als auf rechten Fahrbahnseiten.

4.2.

Obgleich nur wenige Radfahrer pro Tag in der Gottlieb-Daimler-Straße unterwegs sind, ist die statistische Wahrscheinlichkeit zu verunglücken für jeden einzelnen dort fahrenden Radfahrer nicht von der Anzahl der dort verkehrenden Radfahrer abhängig, sondern von der baulichen Ausführung, der Gestaltung der Kreuzungen und Einmündungen, der Größe der Sichtdreiecke an den Kreuzungen und Einmündungen und der Erfordernis, den linken Radweg wieder zu verlassen und die Fahrbahn zu kreuzen.

Im ersten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover hat die Gemeinde Stuhr wie auch die Polizeiinspektion Diepholz diese statistischen Zusammenhänge nicht erkannt.

 

Im Gegenteil kann die geringe Zahl der dort verkehrenden Radfahrer sogar noch zu einer Erhöhung des Risikos für den Einzelnen führen, wenn die Radfahrer auf einer linken Nebenanlage außerhalb des Sichtbereiches des Kraftfahrzeugverkehrs geführt werden, weil die Kraftfahrer beim Ein- und Abbiegen nicht mit Radfahrer-Verkehr außerhalb der Fahrbahn rechnen.

4.3.

Bei nur einseitig angelegten Radwegen (wie in der Gottlieb-Daimler-Straße) ist die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht in Fahrtrichtung links in der Regel nur außenorts zulässig,

Innerorts sollen linke Radwege nur im Ausnahmefall angeordnet werden. Die Gemeinde Stuhr hat bisher versäumt nachzuweisen, weshalb es sich bei der Gottlieb-Daimler-Straße um einen atypischen Fall handelt, der die Ausnahmeregelung rechtfertigt:

 

Im betreffenden Ortsteil Brinkum-Nord sind ca. 80% der Radwege Zweirichtungs-Radwege:

–   Bremer Str. (B6) westliche Seite: 650 Meter benutzungspfl. 2-Richtungs-Rw.

–   Carl-Zeiss-Straße: 1.000 Meter einseitiger benutzungspfl. 2-Richtungs-Rw. vom Ortseingang Stuhr bis zur B6 (Bremer Straße). Davon haben 600 Meter (vom Ortseingang bis Bergiusstraße) nur 2,00 Meter lichte Breite statt der erforderlichen 2,50 Meter lichte Breite.

–   Henleinstraße, östlicher Zweig: 100 Meter einseitiger benutzungspfl. 2-Richtungs-Stummelradweg ab der Carl-Zeiss-Straße. Der Radweg endet für die Geradeausfahrer im Nichts und für die Abbieger auf einem Gehweg.

 

D.h. in Brinkum-Nord ist das Linksfahren der Regelfall, weil 80% der Radwege 2-Richtungs-Radwege sind.

Lediglich der östliche Radweg der Bremer Straße ist nur in einer Richtung zu befahren.

 

Die Gemeinde Stuhr gibt keine Auskunft, weshalb nun auch auf der linken Seite der Gottlieb-Daimler-Straße für 130m die Radwegbenutzungspflicht „ausnahmsweise“ angeordnet werden soll, und welche über das normale Maß hinausgehenden Gefahren die Anordnung rechtfertigen.

4.4.

Es sind keine Voraussetzungen gegeben, die die Anordnung der linksseitigen Radwegbenutzungspflicht rechtfertigen.

 

VwV-StVO, Zu § 2 Abs. 4 Satz 3,

II. Freigabe linker Radwege für die Gegenrichtung

Rn. 36:       2.      Die Freigabe linker Radwege für die Gegenrichtung kann die Zahl der Fahrbahnüberquerungen für den Radverkehr senken. Andererseits entstehen neue Konflikte mit dem entgegenkommenden Radverkehr und an den Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen Grundstückszufahrten. Die Prüfung auch anderer Maßnahmen ist deshalb unabdingbar. Zu denken ist hier auch daran, den Bedarf zum Linksfahren, z. B. durch ein verbessertes Angebot von Überquerungsmöglichkeiten usw., zu verringern.

 

In Randnummer 36 benennt die VwV-StVO den typischen sinnvollen Ausnahmefall für linke Radwege. Eine solche Situation ist in der Gottlieb-Daimler-Straße nicht gegeben, denn dort wird die Zahl der Fahrbahnüberquerungen nicht gesenkt.

Im Gegenteil wird durch den dortigen 130 Meter langen „Stummelradweg“ die Fahrbahnüberquerung aus dem Bereich der Lichtsignalanlage an der Kreuzung zur Bremer Straße heraus in einen ungeschützten Kreuzungsbereich (Kreuzung Rudolf-Diesel-Straße) verlegt, in dem genau so viele Kraftfahrzeuge und genau so viel Schwerlastverkehr unterwegs sind wie an der Kreuzung zur Bremer Straße.

Nach der „Unfallanalyse Stuhr – Ausgewählte Unfalldaten“ aus dem „Fahrradverkehrskonzept Stuhr“ von 1992 waren

65 von 106 Unfällen vom Typ „Einbiegen und Kreuzen“,

20 von 106 Unfällen vom Typ „Abbiegeunfälle“

10 von 106 Unfällen vom Typ „Unfälle im Längsverkehr“

D.h. das wesentliche Unfallrisiko des Radfahrers ist an Kreuzungen zu suchen. Und ganz besonders gefährdet sind immer die Radfahrer auf Radwegen, weil sie von Autofahrern nicht rechtzeitig wahrgenommen werden.

4.5.

„Die Prüfung auch anderer Maßnahmen ist deshalb unabdingbar“, schreibt die VwV-StVO vor.

Eine solche zwingende Prüfung von Führungsvarianten hat die Gemeinde Stuhr hingegen nicht vorgenommen. Jedenfalls enthält der Bescheid vom 13.01.2004 keine Begründung, weshalb eine andere Führungsvariante als die von der Gemeinde Stuhr nun angeordnete linksseitige Radwegeführung nicht umsetzbar sein sollte, z.B. Mischverkehr auf der Fahrbahn oder Schutzstreifen auf der Fahrbahn oder Radfahrstreifen oder bauliche rechte Radwege.

So hatte etwa das Bremer Amt für Straßen und Verkehr anlässlich des Verfahrens beim VG Hannover bereits kundgetan, dass es ohne weiters möglich sei, die Lichtsignalanlage an der Bremer Straße so herzurichten, dass die Radfahrer dort auf die rechte Seite gelangen.

Bereits im Juli 1992 hatten die von der Gemeinde beauftragten Gutachter des  „Fahrradverkehrskonzept Stuhr“ angeregt, ein „Radfahrersignal am südlichen Arm der Lichtsignalanlage“ zu ergänzen, um die für Radfahrer unzulängliche Verkehrsführung an der Lichtsignalanlage und der Gottlieb-Daimler-Straße zu verbessern.

Die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde, die ohne Alternative am linken Radweg festhält, leidet deshalb an Ermessensunterschreitung durch Nichtgebrauch.

 

5.

Im Übrigen ist die Befristung bis zum 31.12.2006 (fast drei Jahre) unangemessen lang.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Übergangsfristen und die Ausnahmeregelungen der VwV-StVO vor dem Hintergrund des Inkrafttretens der VwV-StVO am 1.10.1997 formuliert worden sind. Danach gab eine Übergangsfrist von einem Jahr bis zum Inkrafttreten des neuen §2 Abs. 4 Satz 2 u. 3 StVO, binnen der grundsätzlich alle Änderungen im Radwegenetz hätten vorgenommen werden müssen.

Weitere Ausnahmen, auf die die Rn. 33 abzielt, sollten nach der Intention des Verordnungsgebers nur auf jene „anderen Radwege“ angewendet werden, die nicht bis zum Stichtag der Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht am 1.10.1998 nachgebessert werden konnten.

Keineswegs war intendiert, das Instrument der befristeten Anordnung als immerwährendes Schlupfloch für unerledigte Altfälle bereitzustellen.

5.1.

Eine befristete ausnahmsweise Anordnung der Radwegbenutzungspflicht auf einem „anderen Radweg“, der die (baulichen) Voraussetzungen für die Anordnung der Benutzungspflicht noch nicht erfüllt, hätte bereits 1998 einer konkreten Finanz- und Fachplanung bedurft.

 

Umsomehr wäre diese jetzt zu fordern. Die Gemeinde Stuhr legt aber keine konkrete Finanz- und Fachplanung vor: lt. dem Bescheid soll ein Radweg auf einem Gelände gebaut werden, das sich noch gar nicht im Eigentum der Gemeinde befindet. Es stehen aktuell überhaupt keine Finanzmittel bereit; es ist auch nicht annähernd gesichert, dass in absehbarer Zeit Gelder bereitgestellt werden können.

Nach der Logik des Bescheides würde am 31.12.2006 eine unkontrollierte Situation entstehen, wenn die Grundstückskäufe misslingen oder die Kommunalpolitik die benötigten Gelder nicht freigibt: dann müssten die Zeichen 240 endgültig herunter, aber die Straßenverkehrsbehörde hätte keine Vorsorge für eine andere Verkehrsführung getroffen.

Oder würde dann nocheinmal eine befristete Anordnung des Zeichens 240 getroffen? Dann würde der Ausnahmezustand zum Dauerzustand.

6.

Ich rege an, anstelle Zeichen 240 „gemeinsamer Geh- und Radweg“ vorübergehend das Zeichen 239 „Gehweg“ mit dem Zusatz 1022-10 „Radfahrer frei“ anzuordnen. Die Radwegbenutzungspflicht wäre dann aufgehoben. Der Weg könnte aber dennoch von Radfahrern mit Schrittgeschwindigkeit benutzt werden.

Gleichzeitig sollte mittelfristig die Lichtsignalanlage an der Kreuzung zur Bremer Straße vervollständigt werden. Nach der Komplettierung der LSA, so dass die Radfahrer die südliche Fahrbahnseite der Gottlieb-Daimler-Straße erreichen können, kann das Linksfahren auf dem Gehweg dann ebenfalls aufgehoben werden.

 

 

Ich bitte um eine rechtsmittelfähige Bescheidung.

Mit freundlichen Grüßen

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