Es geht um einen ca. 1000 m langen Zweirichtungs-Radweg in Syke-Barrien und Syke-Gessel. Es gilt überall 50 km/h und die Spitzenbelastung beträgt 336 Kfz/Stunde. Wir wandten uns bereits im Januar 2014 an den Landkreis Diepholz mit der Bitte um Neubescheidung. Damals ging es noch um den kompletten, 4 km langen Weg von Leerßen nach Barrien. Nachdem die ‚Lollis‘ außenorts abgeschraubt wurden, streiten wir uns also noch um die Lollis innerorts.
- (1) Klageschrift - 19. Okt. 2015
-
Verwaltungsgericht Hannover
…xxxxxxxx, den 19. Okt. 2015
Klage
des
Herrn xxxxxx
xxxxxxxx
– Kläger –gegen
Landkreis Diepholz,
vertreten durch den Landrat,
Niedersachsenstraße 2,
49356 Diepholz – Beklagter-wegen Radwegebenutzungspflicht.
Ich erhebe Klage und beantrage,
die Radwegebenutzungspflicht für die Radwege auf der K122 „An der Wassermühle“ in Syke zwischen Bremer Straße und Am Dorfrand sowie auf der K122 / K113 „Leerßer Straße“ in Syke-Leerßen innerhalb der geschlossenen Ortschaft aufzuheben,
hilfsweise: den Beklagten zu verurteilen, den Kläger innerhalb von 6 Wochen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Begründung
Der Kläger ist Alltagsradfahrer und fährt ca. 9000 km / Jahr mit dem Fahrrad. Dabei benutzt er auch gelegentlich die wenige Kilometer von seinem Wohnort entfernte Kreisstraßen K 122 / K 113 im Nachbarort Syke. Zwischen Syke-Barrien und Syke-Leerßen ist die Straße mit einem nah der Fahrbahn geführten Geh- und Radweg ausgestattet.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 02. Januar 2014 an den Beklagten und begehrte Neubescheidung über die ihn belastende Radwegbenutzungspflicht. Es gilt eine durch Zeichen 240 angeordnete Radwegbenutzungspflicht, obwohl der Beklagte den Geh- und Radweg wegen seiner Schäden als derartig gefährlich einschätzt, dass die Baubehörde auf mehreren Kilometern Länge durchgängig Gefahrenzeichen Z 101 StVO mit dem Zusatz „Radwegschäden“ aufgestellt hat. Damit ist für den Kläger die Radwegbenutzungspflicht angeordnet, und ihm wird die Benutzung der Fahrbahn verboten, welche gemäß § 2 Abs. 4 S. 1 StVO im Regelfall vom Fahrzeugverkehr und somit auch von Radfahrern zu benutzen ist.
Beweis: Schreiben xxxx vom 02. Januar 2014 (Anlage K 1)
Der Beklagte bestätigte am 09. Januar 2014 den Eingang des Schreibens und erklärte, er werde erforderliche Maßnahmen prüfen. In den nachfolgenden 18 Monaten erinnerte der Kläger mehrfach an die Erledigung seines Antrages.
Beweis:
- Schreiben Landkreis Diepholz vom 09. Januar 2014 (Anlage K 2 ),
- E-Mail xxxxxx vom 21. Mai 2014 (Anlage K 3),
- E-Mail Landkreis Diepholz vom 26. Mai 2014 (Anlage K 4).
- Schreiben xxxxx vom 09. September 2014 (Anlage K 5)
- Schreiben Landkreis Diepholz vom 15. Oktober 2014 (Anlage K 6),
- E-Mail xxxxx vom 27. Oktober 2014 (Anlage K 7)
- Schreiben xxxxx vom 17. Juni 2015 (Anlage K 8)
- Schreiben Landkreis Diepholz vom 28. Juli 2015 (Anlage K 9)
- Schreiben Landkreis Diepholz vom 04. August 2015 (Anlage K 10)
Dem Antrag des Klägers wurde Mitte August 2015 teilweise abgeholfen, als zwischen Syke-Gessel und Syke Leerßen – außenorts – die Radwegbenutzungspflicht auf 2,3 km Länge aufgehoben wurde. Für die Radweg-Abschnitte in Syke-Barrien und Syke-Leerßen innerorts ist hingegen weder Abhilfe geschaffen noch eine Verbescheidung erfolgt. Der Kläger wandte sich per Mail v. 21.08.2015 letztmals an den Beklagten mit der Bitte, auch die restlichen Benutzungspflicht-Zeichen zu entfernen.
Beweis:
- E-Mail xxxxx vom 21. August 2015 (Anlage K 11)
- Lageplan (Anlage K 12)
- Fotodokumentation (Anlage K 13)
Seither ist keine Stellungnahme mehr eingegangen.
Der Kläger wendet sich gegen die verbliebenen Radwegbenutzungspflichten
- auf der K 122 An der Wassermühle zwischen „Bremer Straße“ und „Am Dorfrand“ (ca. 850 Meter) sowie
- auf der K 122 / K 113 „Leerßer Straße“ innerorts in Syke-Leerßen (ca. 1400 Meter).
Wer mit einem Verkehrszeichen konfrontiert worden ist, ist zur Klage berechtigt, ohne darlegen zu müssen, dass er auch in Zukunft regelmäßig oder nachhaltig von dem Verkehrszeichen betroffen sein werde,
vgl. BVerwG, Urt. v. 22. August 2003 – 3 C 15.03 -.
Abgesehen davon ist damit zu rechnen, dass der Kläger die Strecke auch zukünftig befährt und dann wiederholt von den dortigen Verkehrsregelungen betroffen sein wird.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO müssen Fahrzeuge – zu denen auch Fahrräder zählen – grundsätzlich die Fahrbahn benutzen. Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO müssen Radfahrer hingegen Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit dem Zeichen 237, 240, 241 zu § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO gekennzeichnet ist.
Rechtsgrundlage für die Aufstellung der genannten Verkehrszeichen ist § 45 Abs. 1 S. 1 und Abs. 9 Satz 2 StVO. Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht durch die Verkehrszeichen 237, 240 oder 241 stellt sich nicht nur als Gebotsregelung, sondern – durch den Ausschluss der Nutzung der Fahrbahn gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO – zugleich als Verbotsregelung und damit als eine die Straßenbenutzung durch den fließenden (Fahrrad-) Verkehr beschränkende Maßnahme dar, denn die durch die vorgenannten Verkehrszeichen angeordnete Radwegebenutzungspflicht verbietet dem zuvor in zulässiger Weise die Fahrbahn benutzenden Radfahrer, weiter auf der Fahrbahn zu fahren.
Die durch Zeichen 237, 240, 241 verlautbarte Radwegebenutzungspflicht ist an den in § 45 Abs. 9 Satz 2 und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO genannten Voraussetzungen zu messen. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:
„3….
Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO dürfen – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen – insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter – also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs – erheblich übersteigt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, der durch die Anfügung von § 45 Abs. 9 StVO zwar modifiziert und ergänzt, nicht aber ersetzt worden ist (vgl. Urteil vom 5. April 2001 – BVerwG 3 C 23.00 – Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41), können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten.
Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß- und Radweg) ist – ebenso wie bei Zeichen 237 (Radfahrer) und Zeichen 241 (Getrennter Rad- und Fußweg) – eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese Zeichen bedeuten nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a StVO, dass Radfahrer die für sie bestimmten Sonderwege nutzen müssen. Dem entspricht § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO; danach müssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Kehrseite dieses Nutzungsgebotes ist das Verbot für Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen. Ob dieses Verbot – wie die Revisionsführer meinen – nur mittelbare Folge oder Reflex des Gebotes ist, wirkt sich auf die rechtliche Einordnung des Verkehrszeichens nicht aus. Entscheidend ist vielmehr die reglementierende Wirkung für den Fahrradverkehr. Das Verkehrszeichen begründet zwar kein Verbot der Benutzung der Straße (zu der auch Radwege zählen), wohl aber einen Ausschluss der Fahrradfahrer von der Benutzung der Fahrbahn und damit eine Beschränkung in Bezug auf die allgemeine Verkehrsregel, dass Fahrzeuge einschließlich Fahrräder die Fahrbahn benutzen (§ 2 Abs. 1 StVO).
Ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO anwendbar, scheidet damit zugleich § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht aus. Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (vgl. Urteile vom 23. September 2010).“
„4. …
45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die – erstens – auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und – zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt (vgl. Urteile vom 5. April 2001 a.a.O. und vom 23. September 2010). In solchen Fällen dient die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2001 – BVerwG 3 B 183.00 – Buchholz 442.151 § 2 StVO Nr. 2).
Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können – wie der Senat im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsbeschränkungen und Lkw-Überholverboten bereits entschieden hat – bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. zuletzt Urteile vom 23. September 2010). Diese Grundsätze sind auch in Bezug auf die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht anwendbar. Dass auch hier für die Beurteilung ein ganzes Bündel von Faktoren von Bedeutung ist, bestätigt die Allgemeine Verhaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO). Danach kommt die Anlage von Radwegen im Allgemeinen dort in Betracht, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern (vgl. VkBl 1997 S. 691).
Eine auf besondere örtliche Verhältnisse zurückgehende qualifizierte Gefahrenlage liegt hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.“
Zitat BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 – 3 C 42.09 – (Hervorhebung durch den Unterzeichner).
An diesen Kriterien ist zu beurteilen, ob eine Radwegebenutzungspflicht für einen bestimmten Straßenabschnitt – zunächst noch ohne Betrachtung der baulichen Gegebenheiten des jeweiligen Radweges – in Betracht kommt.
Auf der K 122 / K 113 gibt es nur wenig Autoverkehr. Die Kreisstraße hat keine überregionale Bedeutung sondern erfüllt Verbindungsfunktionen innerhalb der Stadt Syke. Der Beklagte hat bislang keine Verkehrsmengen (DTV-Werte) vorgelegt.
Mit Ausnahme eines ca. 50 Meter kurzen Teilstückes „An der Wassermühle“ befinden sich die streitigen Radwege innerhalb der geschlossenen Ortschaft. Im Innerortsbereich gilt die allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h.
Beweis: Augenscheinnahme.
Es ist deswegen nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig, wenn dem Kläger als Radfahrer die Benutzung der Fahrbahn verboten wird. Es stellt sich auch die Frage, weshalb der Beklagte die Radwegbenutzungspflicht außenorts – wo mit hohen Kfz-Geschwindigkeiten zu rechnen ist – sehr wohl aufgehoben hat, aber innerorts an der Radwegbenutzungspflicht festhält.
Allein die Schnelligkeit und Leichtigkeit des Autoverkehrs, zu dessen Gunsten die Fahrbahn für Radfahrer gesperrt wird, kann eine Radwegebenutzungspflicht nicht begründen.
Als weitere kumulative Voraussetzung ist zu beachten, dass nur für solche Radwege eine Benutzungspflicht angeordnet werden darf, die den Kriterien einer stetigen und sicheren Streckenführung mit ausreichender Breite und den erforderlichen seitlichen Sicherheitsabständen genügt. Diese notwendigen baulichen Voraussetzungen sind in den Verwaltungsvorschriften Ziffer II zu den §§2 Abs. 4 Satz 2 und 3,41 StVO festgelegt. Die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften binden das Ermessen, das die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer Entscheidungsfindung zur Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht zu beachten hat.
Die vom Kläger beanstandeten innerörtlichen Radwege entlang der K 122 „An der Wassermühle“ und K 122/ K 113 „Leerßer Straße“ genügen auch in ihrer baulichen Gestaltung nicht diesen rechtlichen Kriterien.
Der Radweg muss ausreichend breit und frei von Hindernissen sein. Die Linienführung im Streckenverlauf und die Radwegeführung an Kreuzungen und Einmündungen muss auch für den Ortsfremden eindeutig erkennbar, im Verlauf stetig und insbesondere an Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen Grundstückszufahrten sicher gestaltet sein,
vgl. VwV Ziffer II. zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO.
Die Radwege auf der Leerßer Straße in Syke-Leerßen besitzen nicht durchgängig das für einen gemeinsamen Geh- und Radweg erforderliche Breitenmaß von mindestens 2,50 m. Der Hochbord ist einschließlich des 50 cm breiten Sicherheitsstreifens nur 2,00 Meter breit. Nach Abzug des nicht zum Radweg gehörenden Sicherheitsstreifens verbleibt eine Radwegbreite von nur 1,50 Meter.
Beweis: Fotodokumentation, Foto Nr. 2 (Anlage K 13)
Der Radweg „An der Wassermühle“ ist ebenfalls nicht 2,50 m breit. Er ist auf weiten Strecken nur 1,60 Meter breit und obendrein mit dem Zeichen 101 StVO „Gefahrenstelle“ und Zusatzzeichen „Radwegschäden“ ausgewiesen.
Beweis: Fotodokumentation, Foto Nr. 6 und 8 (Anlage K 13)
Holger xxxxxxx
- (2) Klageerwiderung, LK Diepholz
-
(von: LK Diepholz
an: VG Hannover )n der Verwaltungsrechtssache des
Herrn xxxxxxxxx
gegen
den Landkreis Diepholz, vertreten durch den Landrat, Niedersachsenstr. 2, 49356 Diepholz
wegen: Radwegebenutzungspflichtwird beantragt, die Klage hinsichtlich des Radweges entlang der K 122 von „Bremer Straße“ bis „Am Dorfrand“ als unbegründet zurückzuweisen und hinsichtlich des Radweges entlang der K113/K 122 „Leerßer Straße“ als erledigt zu erklären.
Des Weiteren wird beantragt, dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gegen die Entscheidung, den Rechtstreit auf einen Einzelrichter oder einer Einzelrichterin zu über
tragen, bestehen keine Bedenken.Begründung:
Mit Klageschrift vom 19.10.2015 – hier eingegangen am 26.10.2015 – begehrt der Kläger die Auf hebung der Radwegebenutzungspflicht (Z 240 StVO) für die Radwege an der K 122 in Syke-Barrien zwischen der „Bremer Straße“ und der Straße „Am Dorfrand“ sowie an der K122/K113 „Leerßer Straße“ innerhalb der geschlossenen Ortschaft Leerßen; alternativ die Bescheidung des Antrages auf Aufhebung der Benutzungspflicht.
Bei der K122 handelt es sich in dem genannten Straßenabschnitt um eine innerörtliche Straße, welche als überörtliche Straße für den Durchgangsverkehr genutzt wird. Weiterhin dient sie auch als Hauptverkehrsstraße für die Anwohner aus der Ortschaft Gessel. Unweit der „Bremer Straße“ befindet sich an der K 122 die Grundschule. Es gilt die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Aktuelle Verkehrsbelastungszahlen für den betreffenden Abschnitt liegen für den Zeitraum vom 03.08.2015 – 10.08.2015 vor (sh. Blatt 45-55).
Die DTV (durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) auf der K122 im Bereich zwischen der „Bremer Straße“ und „Am Dorfrand“ (gemessen am Standort 2) beträgt danach 3.885 Fz/24 h. In den Spitzenzeiten fahren dort rd. 1.000 Fz/h. Unter der Berücksichtigung, dass die Grundschule an die K 122 angebunden ist und sich der Bemessungszeitraum in den Schulferien befand, dürfte die Anzahl der Fahrzeuge, während der Schulzeiten durch den Schülertransportverkehr noch höher liegen.
Die Nähe der K 122 in diesem Bereich zur Grundschule und der hiermit einhergehende Schülerradverkehr begründen u. a. die verkehrsbehördliche Anordnung der Benutzungspflicht.
Rechtsgrundlage für die Prüfung, ob in dem betreffenden Bereich dieAnordnung des Z 240 StVO angemessen und erforderlich ist, ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO. Hiernach muss auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse eine das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigende (qualifizierte) Gefährdungslage gegeben sein. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingte Einflüsse (z. B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. (vgl. Urteil des BVerwG v. 18.11.2010 – 3 C 42.09 – juris Rdn. 26)
Für die Prognose einer Gefahrenlage i. S. v. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO reicht wegen der betroffenen
hochrangigen Rechtsgüter bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts aus (Urteil des BVerwG v. 18.11.2010 – 3 0 42.09 – juris Rdn. 22).
Weitergehend müssen bei der Anordnung der Radwegebenutzungspflicht die Voraussetzungen des
§ 2 Abs. 4 Satz 2 StVO vorliegen. Nach Ziffer II Nr. 2 a der VwV-StVO zu § 2 soll der Radweg unter
Berücksichtigung der gewünschten Verkehrsbedürfnisse ausreichend breit, befestigt und einschließlich eines Sicherheitsraumes frei von Hindernissen sein. Dies bestimmt sich u. a. im Allgemeinen unter Berücksichtigung insbesondere der Verkehrsbelastung, der Verkehrsbedeutung, der Verkehrsstruktur, der Flächenverfügbarkeit und der Art und Intensität der Umfeldnutzung.
Bei der Beurteilung der Gefährdung werden u. a. die neuen ERA (Empfehlungen für Radverkehrs
anlagen) sowie die RASt 06 (Richtlinie fürdie Anlage von Stadtstraßen) herangezogen. Es sei je doch darauf hingewiesen, dass sowohl die ERA als auch die RASt 06 technische Regelwerke zur baulichen Errichtung eines Radweges und Gestaltung sind. Das Anordnen einer Benutzungspflicht ergibt sich hieraus jedoch praktisch nicht.
Nach Nr. 2.3.3 (Bild 7) der ERA 2010 kann die Anzahl der Fahrzeuge bei der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in die Belastungsbereiche II/III eingeordnet werden. Einen Wechsel des Belastungsbereiches nach oben kann in dem ungünstigen Fahrbahnquerschnitt (Breite 5,50 m) bei einer Verkehrsbelastung von mehr als 400 Fz/h begründet sein.
Nach der ERA wäre somit die Radverkehrsführung an diesem Streckenabschnitt durch einen Radfahrstreifen, einem Radweg oder einem gemeinsamen Geh- und Radweg „geboten“.
Wie bereits angeführt, handelt es sich bei der ERA um planerische Empfehlungen. Die Beschilderung der Radverkehrswege wird hiervon nicht erfasst. Vielmehr diente sie in der Vergangenheit mehr zur Beurteilung der Trennung der Verkehrsarten. Die Neufassung enthält keinerlei Aussage zur straßenverkehrsrechtlichen Umsetzung durch Benutzungspflicht (vgl. Beschl. des Sächs. OVG v. 10.07.2012-3 A945/10-Rd.Nr. 10).Aufgrund der vorliegenden Belastungszahlen und der vorhandenen Fahrbahnbreite (5.50 m) ist eine Lenkung des Radverkehrs über den vorhandenen Radweg geeignet, um Gefahren für das Leben und Gesundheit der Rad fahrenden Verkehrsteilnehmer zu beseitigen. Ob die Benutzungspflicht auch erforderlich ist, ergibt sich aus der Prüfung der qualifizierten Gefährdungslage.
Entscheidend für die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Benutzungspflicht ist, ob die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer Gefährdungssituation i. S. von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO führen würde, die auch mit Blick auf den Ausbauzustand des Radweges nicht hinnehmbar ist (vgl. Beschl. des BVerwG v. 16.04.2012 – 3 B 62/11 -NJW2012, Rd. Nr. 8).
Neben dem vorhandenen Umstand, dass die betreffende Strecke insbesondere von Durchgangsverkehr und Schülerverkehr frequentiert wird, kommt hinzu, dass auf diesem Abschnitt auch eine Bahnunterführung vorhandenen ist, welche in ihrem Bereich zu verminderter Wahrnehmbarkeit von Radfahrern führt. Hinzu kommt die Abschüssigkeit der Straße. Außerdem lässt die vorhandene Fahrzeugbreite aufgrund des Verkehrsaufkommens ein gefahrloses Überholen von Radfahrern erschweren (vgl. Beschl. des BVerwG v. 16.04.2012 – 3 B 62/11 – NJW 2012, Rd. Nr. 14).
Fraglich ist jedoch, ob aufgrund der von dem Kläger festgestellten Tatsachen, dass die vorgeschriebene Mindestbreite des gemeinsamen Rad- und Fußweges von 2,50 m nicht eingehalten wird und
der Radweg schadhaft ist, die Voraussetzungen der Ziffer II Nr. 2 a VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2
StVO für die Anordnung der Benutzungspflicht erfüllt werden.
Nach Rd. 22 zu Ziffer II Nr. 2 a VwV-StVO zu § 2 kann von den Mindestmaßen ausnahmsweise und
nach sorgfältiger Überprüfung dann abgewichen werden, wenn es auf Grund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist. Bei der Benutzung der Fahrbahn kommt es zu engen Verhältnissen, die im Vergleich zu dem engen Verhältnis auf dem Radweg zu einer deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrerführt. Unter diesen Umständen darf die Benutzungspflicht auch dann angeordnet werden, wenn der Radweg nicht den Vorgaben der VwV-StVO entspricht. Gleiches gilt auch bei vorhandene Radwegschäden (vgl. Beschl. des BVerwG v. 16.04.2012 – 3 B 62/11 – NJW 2012, Rd. Nr. 31). Insbesondere bei Dunkelheit und ungünstiger Witterung (Regen, Schnee) besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es aufgrund von Überholmanövern auf der engen Fahrbahn zu Unfällen kommen kann. Die Unfallstatistiken der Jahre 2011 bis September 2015 (sh. Blatt 56 – 62) beweist, dass bisher eine Häufung von Fahrradunfällen – auch in Einmündungen – bedingt durch die Benutzung des nicht gesetzeskonformen Radweges nicht entstanden ist. Im Gegenteil konnte gerade durch die Benutzungspflicht die Gefahrenlage gemindert bzw. auf 0 herabgesetzt werden. Soweit der Kläger ausführt, dass der von ihm beanstandete Radweg entlang der K 122 „An der Wassermühle“ und K 122/K 113 „Leerßer Straße“ in seiner baulichen Gestaltung nicht den rechtlichen Kriterien entspräche, sei auf die laufende Ausschreibung der Radwegsanierung hingewiesen. Der Kläger wurde hierüber, und dass an der Benutzungspflicht festgehalten wird, schriftlich informiert (sh. Blatt 14, 26, 31 und 37).
Der Landkreis Diepholz hat in diesem Falle sehr wohl auf die Anträge und den Schriftverkehr des Klägers reagiert und entsprechende Maßnahmen – in diesem Falle die Sanierung des Radweges – getroffen. Die zeitliche Verzögerung der Umsetzung der Maßnahme ergibt sich verwaltungsrechtlichen und -technischen Verfahren (Bereitstellung der Mittel, vorgeschriebene Ausschreibungsverfahren).Im Ergebnis hat sich der Landkreis Diepholz dazu entschieden, die Radwegebenutzungspflicht entlang der K 122 von der „Bremer Straße“ bis zur Straße „Am Dorfrand“ trotz der Unzulänglichkeiten des vorhandenen Radweges beizubehalten, da die Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs durch die Nutzung der Fahrbahn durch die Radfahrer noch größer sind, als die bei der Nutzung des Radweges entstehenden Gefahren und den daraus und aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO folgenden tatsächlich und rechtlich begründeten Einschränkungen und Unannehmlichkeiten für die Radfahrer.
Bzgl. der Klage, dass die VZ 240 StVO an der K113 an der „Leerßer Straße“ innerorts nicht entfernt sind, teile ich mit, dass diese zwischenzeitlich aufgrund meiner verkehrsbehördlichen Anordnung vom 29.10.2015 entfernt und durch die Z 239 StVO (Gehweg) mit Zusatzzeichen 1022-10 StVO (Radfahrer frei) ersetzt wurden. Siehe schriftliche Mitteilung der Straßenmeisterei BruchhausenVilsen vom 04.11.2015 (Blatt 42 – 44).
Die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht an diesem Streckenabschnitt wurde ausgehend davon geprüft, ob dort – auf Grund der vorhandenen örtlichen Verhältnisse – eine besondere Gefahrenlage vorliegt, die zur erheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung (hierinsbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) führt.
Auf dem Streckenabschnitt der Kl 113/K122 „Leerßer Straße“ besteht eine DTV (durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) von 1.184 Fz/24 h. Aufgrund der Verkehrsbelastung wäre die Anordnung der Benutzungspflicht nicht verhältnismäßig. Der Radfahrer hat auf diesem Streckenabschnitt die Wahl, den gemeinsamen Rad- und Fußweg oder die Fahrbahn zu benutzen. Die Gefahren die von der Benutzung der Fahrbahn ausgehen können, sind hier nicht größer einzuschätzen als bei der Benutzung des hier unzulänglichen Radweges.Aufgrund der vorstehenden Sach- und Rechtslage ist die Klage hinsichtlich des Radweges entlang
der K 122 von „Bremer Straße“ bis „Am Dorfrand“ als unbegründet zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Radweges entlang der K113/K 122 „Leerßer Straße“ ist die Klage als erledigt zu
erklären.Den hier entstandenen Aktenvorgang (Blatt 1 – 62) füge ich bei.
Mit freundlichen Grüßen
I.A. - (3) Stellungnahme Kläger, 11/2015
-
von: xxxxxxx an: VG Hannover
In der Verwaltungsrechtssache
xxxxxxx ./. Landkreis Diepholz
wegen: Radwegbenutzungspflichtwird zum Schreiben des Beklagten vom 20.11.2015 Stellung genommen.
I.
Die Klage hat sich für den Straßenabschnitt „Leerßer Straße“, Syke-Leerßen, erledigt. Denn der Beklagte hat den Kläger klaglos gestellt, indem er die Verkehrszeichen 240 „Gemeinsamer Gehund Radweg“ entfernt hat.
II.
Streitig ist hingegen noch der mit Z 240 StVO ausgewiesene Abschnitt zwischen „Bremer Straße“ und „Am Dorfrand“ in Syke-Barrien.A.
Der Beklagte legt keine Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, weshalb die Verkehrszeichen 240 StVO „Gemeinsamer Geh- und Radweg“ aufgestellt wurden und allen Radfahrern, auch dem Kläger, die im Regelfall zulässige Benutzung der Fahrbahn verboten wurde.Es ist deshalb zweifelhaft, ob die Behörde ihren Ermessensspielraum erkannt hat. Offenbar folgte die Beschilderung des Sonderweges einfach dem Bauprogramm für die Straße.
Wenn die Behörde ihr Ermessen nicht erkannt hat, ist der Verwaltungsakt aufzuheben. Allein das Fehlen einer schriftlichen straßenverkehrsrechtlichen Anordnung führt nicht bereits zur Rechtswidrigkeit des durch das angegriffene Verkehrszeichen vermittelten Ge- bzw. Verbotes. Sind diese Erwägungen aber den vorgelegten Verwaltungsvorgängen an anderer Stelle zu entnehmen, so reicht dies aus. (vgl. VG Hannover, Urt. v. 03.05.2012, 7 A 3917/10, Urt. v. 27.04.2010 – 7 A 1820/08-, juris). Aus jenem Grund ist es hier zweifelhaft, ob die Behörde ihr Ermessen ausgeübt hat, insbesondere für die Zeit ab 1998, seitdem eine neue rechtliche Regelung zur Radwegebenutzungspflicht gilt. Der Kläger hatte den Beklagten mit einem „Antrag auf Neubescheidung” ausdrücklich um (Neu-)Ausübung von Ermessen zu Z240 StVO gebeten. Darauf ist der Beklagte nicht eingegangen, denn der Beklagte hat das Begehren des Klägers nicht formell beschieden. Erste Ermessenserwägungen finden sich in der Klageerwiderung. Es ist ungeklärt, wann die Behörde ihr Ermessen ausgeübt haben sollte, wie auch unklar ist, ob sie es vollständig ausgeübt hat. Wenn die Behörde kein Ermessen ausgeübt hat, ist der Verwaltungsakt aufzuheben.vgl. VG Hannover, Urteil vom 24.04.2014 – 7 A 5659/13
Zur Ermessensausübung bei der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht. (amtlicher Leitsatz)B.
Der Vortrag des Beklagten, wonach in Spitzenzeiten rund 1.000 Kfz/h in der K122 verkehren würden (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 2, Abs. 1), passt arithmetisch nicht mit den vom Beklagten vorgelegten Verkehrszählungs-Daten zusammen.Der Beklagte hat sich offensichtlich verrechnet: Laut der 7-Tage-Verkehrszählung war das am stärksten belastete Stundenintervall die Zeit von 17-18 Uhr. Es fuhren 1.127 Kfz in Richtung Barrien und 1.226 in Richtung Leerßen. Die Summe beträgt 2.353 Kfz. Bei gleichmäßiger Belastung während der 7 Tage ergibt sich ein Kfz-Wert von 2353 : 7 = 336 Kfz/h. Das ist exakt nur ein Drittel der vom Beklagten behaupteten 1.000 Kfz/Stunde. Im übrigen macht der hohe Anteil der „nicht klassifizierbaren“ Fahrzeuge im Messprotokoll stutzig. Er beträgt etwa 8 % des Fahrzeugverkehrs. Je nach Standort des Zählgerätes kann/muss es sich um Radfahrer handeln. Dann würde sich der DTV-Wert nochmals um 8 % vermindern.
C.
Dementsprechend sortiert der Beklagte den Streckenabschnitt auch in einen viel zu hohen ERA-Belastungsbereich ein und zieht unzutreffende Gefährdungs-Schlüsse: Der Beklagte trägt vor, dass die Straße gem. ERA 2010 Nr. 2.3.3 Bild 7 in den Belastungsbereich II/III einzuordnen ist (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 2, unten). Diese Einordnung ist jedoch unrichtig. Zutreffend ist vielmehr, dass der Streckenabschnitt unter Zugrundelegung der realistischen 336 Kfz/h bzw. werktäglich u.U. 350 oder 380 Kfz/24h in den Belastungsbereich I oder II fällt.ERA 2010 „2.3.3 Vorauswahl von geeigneten Führungsformen“, Seite 19+20 (mit Anm. d. Verf.) ( Anlage K 1 )
„Im Belastungsbereich I und II ist die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn grundsätzlich vertretbar – bei Klasse I ohne zusätzliche Angebote, bei Klasse II mit entsprechenden zusätzlichen Angeboten wie z. B. nicht benutzungspflichtige Führungen oder Schutzstreifen.“Die Einordnung in den Belastungsbereich III, der für Belastungen oberhalb 1.000 Kfz/Spitzenstunde (bei 50 km/h) vorgesehen ist, wie es der Beklagte getan hat, ist nicht erforderlich.
D.
Der Beklagte weist auf die Nähe der Grundschule Barrien hin, um damit die Radwegbenutzungspflicht zu begründen.Das ist jedoch nicht sachgerecht. Denn Grundschüler (6 bis 10 Jahre) gehen oftmals zu Fuß zur Schule. Soweit sie dabei die K 122 „An der Wassermühle“ benutzen ist es nicht zielführend, dass erwachsene Radfahrer und Elektrorad-Fahrer auf dem gemeinsamen, nur 1,60 m schmalen Geh-/Radweg herumfahren, auf dem gleichzeitig die Kinder zu Fuß gehen. Im Hinblick auf die besonderen Belange der (langsamen) Fußgänger hat der Verordnungsgeber bestimmt:
„VwV-StVO Zu § 41, Zu Zeichen 240 Gemeinsamer Geh- und Radweg
I. Die Anordnung dieses Zeichens kommt nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger vertretbar und mit der Sicherheit und Leichtigkeit des Radverkehrs vereinbar ist und die Beschaffenheit der Verkehrsfläche den Anforderungen des Radverkehrs genügt.“Es ist offensichtlich, dass dort, wo sehr viele Grundschüler zu Fuß unterwegs sind, und wo der Sonderweg obendrein sehr schmal ist, die Belange der Fußgänger verletzt werden. Soweit die Grundschüler mit dem Fahrrad zur Schule fahren, hat eine etwaige Radwegbenutzungspflicht keine Bedeutung für die Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr. Denn diese Kinder müssen gemäß § 2 Abs. 5 StVO mit dem Fahrrad immer den Gehweg benutzen. Die Fahrbahnbenutzung ist ihnen verboten. Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen den Gehweg benutzen. Eines besonderen Verkehrszeichens bedarf es nicht. Schon gar nicht bedarf es einer behördlich verordneten Radwegbenutzungspflicht für alle erwachsenen Radfahrer, um Grundschul-Kindern das Befahren eines vorhandenen Sonderweges vorzuschreiben. Denn im Regelfalle sind Vorschriften durch die Erziehungsberechtigten völlig ausreichend und viel wirksamer als behördliche Anordnungen. Sofern der Beklagte es für erforderlich hält, dass auch andere Menschen außer Kinder bis 10 Jahre auf dem Sonderweg Rad fahren dürfen sollen, dann könnte der Beklagte auf dem Sonderweg „Gehweg – Radfahrer frei“ anordnen oder „Verbot für Kraftfahrzeuge“.
E.
Der Beklagte erklärt, dass es bei der Benutzung der Fahrbahn durch Radfahrer „zu engen Verhältnissen“ und einer deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrer kommt (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3 Mitte).Die Fahrbahn ist 5,50 Meter breit. Der Beklagte möge darlegen, weshalb seine Beurteilung von jener der Verfasser der ERA 2010 abweicht. Die ERA 2010 benennt schmale Straßen explizit als sicher:
ERA 2010, „3.1 Radverkehr auf der Fahrbahn“, Seite 22 ( Anlage K 2 )
„Problematisch ist Mischverkehr auf Fahrbahnen mit Breiten zwischen 6,00 und 7,00 m bei
Kraftfahrzeugverkehrsstärken über 400 Kfz/h. Bei geringeren Fahrbahnbreiten ist Mischverkehr bis zu einer Kraftfahrzeugverkehrsstärke von 700 Kfz/h verträglich, da der Radverkehr im Begegnungsfall Kfz-Kfz nicht überholt werden kann.“Soweit kein Gegenverkehr herrscht, kann ein Kfz den Radfahrer hingegen problemlos durch Benutzung der linken Fahrspur überholen. Das ist gängige Praxis und stellt keine besonderen Anforderungen an die Kfz-Führer oder Radfahrer.
F.
Der Beklagte benennt das Überholen bei Dunkelheit und ungünstiger Witterung als mögliche Gefahrenquelle (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3, Mitte). Es ist jedoch keineswegs so, dass Dunkelheit und Regen eine örtliche Besonderheit in der K 122 An der Wassermühle sind. Vielmehr wird es allerorten dunkel und es regnet überall mal mehr und mal weniger. Die Straße An der Wassermühle ist auch nicht dafür bekannt, dass es dort vermehrt zu Dunkelheit, Regen, Nebel, Eisglätte oder Schnee kommt. Eine besondere örtliche, vom norddeutschen Klima abweichende Wetterlage ist nicht gegeben. Im übrigen ist Beleuchtung für Fahrräder vorgeschrieben. Und die heute übliche Fahrradbeleuchtung steht der eines Motorrades in nichts nach, so dass Fahrräder im Regelfalle gut sichtbar sind. Bei Dunkelheit fahren Radfahrer ohnehin sicherer auf der Fahrbahn als auf dem Radweg, der mit dem Gefahrzeichen Z 101 versehen ist und wo mit tückischen Sturzgefahren gerechnet werden muss.G.
Der Beklagte führt die Bahnunterführung westlich der Syker Straße als besondere Gefahr an. (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3, Absatz 3). Radfahrer wären vermindert wahrnehmbar und die Straße sei abschüssig. Ein gefahrloses Überholen von Radfahrern wäre erschwert.Der Kläger mag nicht erkennen, dass eine Bahnunterführung eine Besonderheit ist. Seit der weitgehenden Abschaffung von beschrankten Bahnübergängen in Deutschland sind Bahnunterführungen oder Brücken der Regelfall. Solche Bauwerke sind stets mit ein paar Metern Gefälle verbunden. Der Kläger mag auch nicht zu erkennen, dass das Gefälle eine Besonderheit ist. Es beträgt nur wenige Prozent und der Höhenunterschied beträgt nur ca. 5 Meter. Ein Blick auf die Deutschlandkarte zeigt, dass Gefällestrecken sehr häufig vorkommen. Völlig plattes Land ist eher die Ausnahme. Soweit der Beklagte die Radwegbenutzungspflicht damit zu begründen versucht, dass das Überholen eines Radfahrers erschwert wird, ist die Schnelligkeit und das ungebremste Vorankommen des Kfz-Verkehrs kein geeignetes Kriterium, um Radfahrer auf ungeeignete Wege zu verweisen. Im übrigen sind es Kfz-Führer gewöhnt, bei unklarer Verkehrslage auf das Überholen zu verzichten, § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO.
H.
Der Beklagte nimmt für sich in Anspruch, gemäß Rd. 22 zu Ziffer II Nr. 2a VwV-StVO zu § 2 von den Mindestmaßen für benutzungspflichtige Radwege abweichen zu können (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3, Mitte).Der Beklagte verkennt, dass das Unterschreiten der Mindestmaße nur für „kurze“ Engstellen, etwa bei Bushaltestellen o.ä. zulässig ist, aber nicht auf einer längeren Strecke.
vgl. VG Hannover, Urt. v. 23.07.2003, 11 A 5004/01
„Die Beklagte kann sich auch nicht auf Ziffer 22 der Verwaltungsvorschrift berufen, soweit dort von einem kurzen Abschnitt die Rede ist. Zu Recht geht der Kläger davon aus, dass unter einem kurzen Abschnitt – zum Beispiel einer kurzen Engstelle – kein 120 m langer Straßenabschnitt zu verstehen ist.“
I.
Der Verweis des Beklagten auf den Beschluss des BVerwG v. 16.04.2012 – 3 B 62/11, wonach eine Radwegbenutzungspflicht trotz Nichterfüllung der VwV-Voraussetzungen angeordnet werden kann (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3, Mitte), trägt nicht.Denn der BVerwG-Beschluss beruht auf einem Urteil des VGH Bayern, 06.04.2011 – 11 B 08.1892, zur Rosenheimer Straße in München. Der DTV-Wert betrug dort 45.000 Kfz / 24 h, also etwa zwölf Mal so viel wie in der K 122. Des weiteren hatte die Münchner Behörde dargelegt, dass es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich war, den Radweg zu verbreitern. Im hier streitigen Fall liegen die Verhältnisse anders. Die Behörde ist zum einen schlicht untätig gewesen und zum anderen liegt eine Verkehrsbelastung vor, die gegenüber den Münchner Verhältnissen marginal ist.
J.
Der Beklagte weist darauf hin, dass er auf „laufende Ausschreibungen zur Radwegsanierung hingewiesen“ hätte, soweit der Weg nicht den baulichen Anforderungen entsprechen sollte (Schreiben Landkreis Diepholz v. 24.11.2015, Seite 3, unten). Es mag sein, dass der Beklagte damit begonnen hat, Überlegungen anzustellen ob es notwendig ist, den Radweg baulich zu verbessern. Der Beklagte vergisst, dass er diese Überlegungen bereits anlässlich der sog „StVO-Fahrradnovelle“ 1997 hätte anstellen müssen. Im übrigen ist der Beklagte überhaupt erst nach Eingang des Antrages auf Neubescheidung des Klägers aktiv geworden, sich um die Sanierung des Sonderweges zu kümmern. Gleichwohl ist die Sanierungsgeschwindigkeit unakzeptabel: es hat allein mehr als 10 Monate gedauert, um die allfälligen Radfahrerfurten auf der stark frequentierten Einmündung zur Syker Straße zu markieren (siehe Schreiben xxxxx vom 09. September 2014). Der Beklagte ist deshalb in seinem Handeln und seinen Versprechungen nicht glaubwürdig. Im übrigen ist und war es der erklärte Wille der Verantwortlichen im Landkreis Diepholz, die Radwege nicht zu sanieren:Landkreis Diepholz, Schreiben v. 06.03.2014 ( Anlage K 3 )
„Dies ist finanziell nur bedingt zu leisten und erfordert daher eine Prioritätensetzung. Diese sieht derzeit den Schwerpunkt im Erhalt der Kreisstraßen und erst in zweiter Linie bei den Radwegen und Brücken. Daraus ergibt sich, dass im aktuellen Investitionsprogramm keine Sanierungsarbeiten an Radwegen und Brücken vorgesehen sind.“
K.
Der Beklagte hat Kopien der elektronischen Unfalltypensteckkarte der Polizeiinspektion Diepholz vorgelegt. Durch die Radwegbenutzungspflicht auf dem nicht regelkonformen Radweg seien die Radfahrerunfälle auf Null herabgesetzt worden.Der Kläger geht davon aus, dass die Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht nichts an der Häufigkeit von Radfahrerunfällen ändern wird,
vgl. Bundesanstalt für Straßenwesen: ( Anlage K 4 )
„Unfallrisiko und Risikoakzeptanz von Fahrradfahrern“
„Ob bauliche Radwege als benutzungspflichtig ausgewiesen sind oder nicht, ist für die Unfallbelastung des Radverkehrs und für die Flächennutzung fast aller Radfahrer nicht ausschlaggebend.“Im übrigen ist es für die Anordnung eines Radfahrer-Fahrbahnbenutzungsverbotes unerheblich, ob auf dem Radweg keine Unfälle registriert wurden. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Fahren der Radfahrer auf der Fahrbahn derart gefährlich ist, so dass ein Abweichen vom Regelfall §2 Abs. 4 Satz 1 StVO „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen“ erforderlich und verhältnismäßig ist.
(Unterschrift)
Erfolg! Landkreis knickt ein
Der Landkreis hat seine Rechtsauffassung sehr schnell aufgegeben. Was **außer**gerichtlich noch als unumstößlich galt, wird plötzlich windelweich (LK Diepholz v. 07.01.2016):
Die Argumente des Klägers können seitens der Beklagten nicht entkräftet werden.
Hoppla. Die Behörde verdreht es schon wieder. Zutreffend wäre ein Satz gewesen wie: „Die Lollis wurden ohne Rechtsgrundlage aufgestellt und werden deshalb abgeschraubt.“ — Man erkennt hier also ganz deutlich die Vorgehensweise der Behörde: erst einmal werden Lollis aufgestellt, und dann wartet man ab, ob irgend jemand dagegen argumentiert. Verkehrte Welt.
Nach Abwägung der gesetzlichen Vorgaben mit den örtlichen Verhältnissen bin ich zu der Entscheidung gekommen, die Benutzungspflicht auf dem Radweg aufzuheben.
(verkehrsbehördliche Anordnung zur Demontage Z 240, 07.01.2016)
Die Behörde vermag also doch gesetzliche Vorgaben abwägen. Das hätte sie auch ohne Gericht tun können. Sie hatte sich aber mit Händen und Füßen gewehrt. Was ist die Lehre daraus? Künftig muss man der Behörde sehr, sehr schnell mit dem Gericht kommen. Alles andere ist witzlos.
Vorläufig ist Schluss
Nachdem der Landkreis die Lollis gegen „Gehweg – Radfahrer frei“ ausgetauscht hat, war das Verfahren also Anfang 2016 durch Gerichtsbeschluss erledigt.
‚Lollis‘ wurden re-aktiviert
Kaum war die Asphaltdecke erneuert, hat der Landkreis einfach die Radwegbenutzungspflicht (wieder) angeordnet. Wir glauben kaum, dass der LK eine saubere Ermessensentscheidung getroffen hat. Denn selbstverständlich ist die Radwegbenutzungspflicht gar nicht erforderlich.
Da der Weg derzeit aber halbwegs brauchbar ist und die meisten Leute ihn sowieso freiwillig benutzen, besteht hier keine Neigung, zwingend gegen die Lollis vorzugehen. Aber eine Unverschämtheit ist es dennoch, mit welcher Selbstverständlichkeit und ohne Beachtung der Rechtslage die Lollis aufgestellt werden.
2 Kommentare
Hallo Holger,
von unserem Fewo-Vermieter in Gessel habe ich gehört, dass der Radweg Gessel – Barrien komplett neu asphaltiert sei. Stimmt das? Und was ist jetzt mit der Benutzungspflicht? Von der Breite her entspricht der Weg doch nach wie vor nicht der StVO (min. 2,50 Meter bei einem 2-Richtungs-Radweg)? Der ist doch höchstens 1,50 Meter breit?
Der Weg wurde asphaltiert und die Mülltüten wurden gelupft; d.h. obgleich im Bereich Gessel-Leerßen nur 1200 Kfz pro Tag fahren, wurde wieder die Radwegbenutzungspflicht angeordnet.