Unechte Fahrradstraße in Sulingen

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Radverkehrsförderung liegt im Trend. Gut gedacht ist aber lange noch nicht gut gemacht. Die neue, vorgebliche „Fahrradstraße“ in der Langen Straße in Sulingen gehört zu diesen Pseudo-Fahrradförderungs-Aktionen: sie lässt sich PR-mäßig gut verkaufen, ist aber verkehrstechnisch (und rechtlich!) höchst fragwürdig.

Presse:  Kreiszeitung 19.11.2020

Zustand VOR und NACH Einrichtung der Fahrradstraße

VORHER / alter Zustand

  • Die Lange Straße ist die zentrale Einkaufstraße in Sulingen.
  • Sie hat aber auch die Funktion einer Durchgangsstraße.
  • Kfz dürfen in beide Richtungen durch die (enge) Straße fahren
  • Es ist eine Tempo 20-Zone („verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“, § 45 Abs, 1 d StVO)
NEU: Fahrradstraße

  • Die Lange Straße ist die zentrale Einkaufstraße in Sulingen.
  • Sie hat aber auch die Funktion einer Durchgangsstraße.
  • Kfz dürfen in beide Richtungen durch die (enge) Straße fahren
  • Es ist eine Tempo 20-Zone („verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“, § 45 Abs. 1d StVO)
  • 2 neue Schilder: „Fahrradstraße“

Beim Vergleich „vorher“ / „nachher“ sehen wir, dass sich nichts getan hat, außer dass es 2 neue Schilder „Fahrradstraße“ gibt. Aber nach wie vor werden die Radfahrer in der schmalen Straße an den Rand gedrückt. Welchen Vorteil hat die Fahrradstraße für die Radfahrer gegenüber der Tempo 20-Zone? Wir können keinen Vorteil erkennen.

Rechtlich: Murks und unzulässig

Es ist offensichtlich, dass diese „Fahrradstraße“ gar nicht rechtens ist.

  • Es scheitert schon an § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO: „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.“
    • Aber braucht man in einem auf 20 km/h verkehrsberuhigten Bereich obendrein eine Fahrradstraße? Nein, gewiss nicht.
    • Insbesondere braucht man keine Fahrradstraße, in der Kfz-Verkehr nicht nur „ausnahmsweise“ zugelassen ist (z.B. Anlieger), sondern in der der Kfz-Verkehr überwiegt, weil die Straße eine Durchgangsstraße ist.
  • Lt. Verwaltungsvorschrift sollen Fahrradstraßen (nur) dort eingerichtet werden, wo der Fahrradverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder wo zu erwarten ist, dass der Radverkehr nach Ausrufung der Fahrradstraße die vorherrschende Verkehrsart sein wird. — In der Langen Straße ist dies nicht der Fall, im Gegenteil überwiegt der Kfz-Verkehr deutlich. Allein schon deshalb, weil Kfz-Verkehr in beide Richtungen zugelassen ist und weil die Lange Straße eine Durchgangsstraßen-Funktion hat. Solange die Stadt Sulingen den Kfz-Verkehr nicht aus der Straße (teilweise) herausholt oder jedenfalls nur für Anlieger zulässt, ist keine Fahrradstraße möglich.
  • Das Verwaltungsgericht Hannover hat ein ähnliches Konstrukt schon mal für rechtswidrig erklärt (Hannover, Kleefelder Straße). Aber in Sulingen ist wohl kein Kläger zu finden, die Leute schütteln nur mit dem Kopf.

Kontrovers diskutiert

Im Mai 2015 hatte erstmals ein Arbeitskreis Verkehr getagt. Daraufhin hatte man das Ingenieurbüro SHP mit der Erstellung eines Verkehrskonzeptes für die Innenstadt beauftragt. Hinsichtlich der Langen Straße stellte SHP fest, dass dart ca. 600-700 Kfz pro Spitzenstunde fahren, aber max. 30 Fahrräder pro Spitzenstunde. Der Kfz-Verkehr ist also extrem stärker als der Fahrradverkehr. Außerdem hatte SHP angeregt, diesen Kfz-Verkehr aus der Langen Straße zu verdrängen, z.B. durch eine Einbahnstraßenregelung. Hernach kam die SPD-Fraktion auf die Idee mit der Fahrradstraße. Die CDU-Fraktion hat zwar substatiierte Einwände vorgebracht, aber gleichwohl ging das Begehren durch den Rat und die örtliche Straßenverkehrsbehörde übte ihr Ermessen im Sinne der Politik aus……

2 Kommentare

  1. Die Zone in der Zone ist quasi ein fahrradberuhigter Geschäftsbereich. Tempo 20 innerhalb einer (Fahrrad-)Straße dürfte zwar zulässig sein, schränkt aber die Benutzbarkeit der Fahrbahn für Radverkehr weiter ein (Leichtigkeit des Verkehrs).

  2. in einer Fahrradstraße gilt aber T30 (Anlage 2 Rn. 23), die Beschilderung ist also in sich widersprüchlich.

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