„Vorfahrt achten“ — nicht mit uns!

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Im Landkreis Diepholz grassierte die Unsitte, dass dem Radverkehr auf Vorfahrtstraßen ein ‚Vorfahrt achten‘-Zeichen hingestellt wurde, wenn die Radwege über den Rechtsabbiegestreifen einer sogenannten „Dreiecksinsel“ geführt wurden. D.h. entgegen dem in der StVO geregelten Normalfall wird der Radverkehr schlechtergestellt. Dieser Unsitte hat der ADFC Diepholz nunmehr mit einem erfolgreich durchgezogenen Musterverfahren einen Riegel vorgeschoben.

B6 / L332 bei Ochtmannien

Foto oben: Das kurze Stummelstückchen des Rechtsabbiegers sollte eine eigenständige Straße sein, meinte die Polizei jahrelang, und hatte darauf eine seltsame rechtliche Phantasie aufgebaut. Die Bau- und Straßenverkehrsbehörden hatten den abenteuerlichen Auslegungen der Polizei jahrelang geglaubt, und sogar vor Gericht ungeprüft übernommen. — Der ADFC Kreis Diepholz machte dem Spuk ein Ende. — Jetzt ist Z205 weg, und die Rechtslage für ähnlich gelagerte Fälle ist ebenfalls geklärt.

 

Wer abbiegen will, muss die neben der Fahrbahn auf dem Radweg fahrenden Radfahrer durchlassen. So steht es in §9 StVO. Es ist also im Prinzip ganz einfach. Unter Abbiegen ist natürlich auch das Abbiegen an einer Dreiecksinsel zu verstehen. Die Dreiecksinsel erleichtert zwar das Abbiegen, und ermöglicht insbesondere auch ein schnelles Abbiegen ohne Rücksicht auf Fußgänger und Radfahrer, aber natürlich wird §9(3)1 nicht außer Kraft gesetzt.

Im Landkreis Diepholz jedoch hatte sich auf Betreiben der Polizeiinspektion Diepholz eine andere Idee durchgesetzt: die PI Diepholz war der Auffassung, dass der freie Rechtsabbieger an der Dreiecksinsel eine ‚wenn auch kurze, aber eigenständige Fahrbahn‘ sei. Der Radfahrer würde also nicht geradeaus fahren sondern eine Fahrbahn queren. Deshalb müsste er selbstverständlich die Vorfahrt des abbiegenden Autoverkehrs beachten.

Zu allem Überfluss hatte die Pol.inspektion Diepholz ebenso wie die StVB des Landkreises Diepholz dann noch darauf hingewiesen, dass man an allen Dreiecksinsel-Kreuzungen des Landkreises so verfahren würde.

Aus dem Urteil des VG Hannover vom 3. Mai 2012, 7 A 3917/10,  die Ausführung des beklagten Landkreises:

„Im Übrigen mache sich der Beklagte die Stellungnahme der Polizeiinspektion Diepholz vom 08. Oktober 2010 zu eigen, die von Polizeihauptkommissar xxxxxxxx, der bereits viele Jahre in diesem Bereich tätig sei und seinerzeit auch die Umstrukturierung der streitigen Straßeneinmündungsbereiche mitgestaltet habe, verfasst sei. Darin heißt es im Wesentlichen: Zur begehrten Aufhebung der Anordnung des Zeichens 205 StVO auf dem linkssei- tigen Radweg entlang der B 6 in Fahrtrichtung Syke vor dem Rechtsabbiegestreifen in die L 332 bei Ochtmannien sei auszuführen, dass es sich bei der zu querenden Straße um eine sog. „Freie Rechtsabbiegespur“ handele. Ein Radfahrer, der den parallel der Vorfahrtstraße verlaufenden Radweg befahre, verlasse diese Vorfahrtstraße, wenn der Rad- weg entlang des „Freien Rechtsabbiegers“ weitergeführt werde. Er fahre jetzt parallel zum Rechtsabbieger und fahre bei Weiterführung des Radweges später wieder parallel zur untergeordneten Straße. Wenn er dem Verlauf der Vorfahrtstraße folgen wolle, müsse er den freien Rechtsabbieger überqueren. Jeder Verkehrsteilnehmer, der eine Fahrbahn auf freier Strecke überquere, habe die Wartepflicht. Da bei Radfahrern jedoch nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden könne, dass sie mit allen Einzelheiten der Vorfahrtregelung vertraut seien, würden die Radfahrer vor derartigen Querungsstellen durch ein Zeichen 205 StVO in verkleinerter Größe gesondert auf ihre Wartepflicht hingewiesen. Dieses Verfahren werde an allen vergleichbaren Knoten angewendet.“

Erfolg! Die Beschilderung ist rechtswidrig und muss verschwinden

Dieser Argumentation mochte das Gericht allerdings nicht folgen.
Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Anordnung ist rechtswidrig, weil sie geeignet ist, das allgemeine Risiko von Verkehrsunfällen erheblich zu erhöhen. Denn die Vorfahrtsregelung für Radfahrer im Kreuzungsbereich der B 6 und der L 332 stellt sich als uneinheitlich und widersprüchlich dar. Insgesamt sind im Bereich der Straße „Oesedum“ (L 332) drei Fahrspuren vorhanden. Bei der aus Norden kommenden Rechtsabbiegespur wird durch das angegriffene Verkehrszeichen 205 StVO den Radfahrern das Gebot „Vorfahrt gewähren“ gegeben. Hinsichtlich der beiden übrigen Fahrspuren der Straße „Oesedum“ ist hingegen der Radfahrverkehr vorfahrtsberechtigt. Auch aus Fahrtrichtung Syke kommende Radfahrer müssen im Bereich der Rechtsabbiegespur in die Straße „Oesedum“ aufgrund eines dort angebrachten Verkehrszeichens 205 StVO „Vorfahrt gewähren“. Dieses Verkehrszeichen ist auch für Kraftfahrzeuge, die sich aus Richtung Syke nähern, als solches erkennbar. Während also Radfahrer im überwiegenden Teil des Einmündungsbereichs gegenüber dem Kraftfahrzeugverkehr vorfahrtberechtigt sind, gilt dies hinsichtlich der streitigen Fahrspur infolge des angefochtenen Verkehrszeichens nicht. Insgesamt liegt damit innerhalb des Kreuzungsbereichs eine gespaltene Vorfahrtsregelung vor, die geeignet ist, die Verkehrsteilnehmer zu verwirren. Auch dürfte für Radfahrer, die aus Richtung Syke kommen, zweifelhaft sein, ob das Gebot, Vorfahrt zu gewähren, für den gesamten Kreuzungsbereich oder nur für den Bereich der Rechtsabbiegespur gilt.“

 

Aufgrund dieses Musterverfahrens haben wir nun eine Handhabe, um vergleichbare Verkehrsführungen überprüfen und ändern zu lassen.


Nachtrag 04/2017: NLStBV plant Umbau

Neues zum Radweg an der Dreiecksinsel bei Ochtmannien, B6

Neues zum Radweg an der Dreiecksinsel bei Ochtmannien, B6   (Sonntagstipp, 02.04.2017)


Ähnlich: L333/B51 bei Bassum

Auch bei der L 333 / B 51 nördlich von Bassum gab es das gleiche Theater. Dort hatte ein Bassumer Radfahrer beantragt, über die Verkehrsführung am Rechchtsabbieger zu (neu) entscheiden. Nachdem das obige Verfahren B6/Ochtmannien entschieden war, wurde die Einmündung umgestaltet. Der Radverkehr hat jetzt Vorfahrt, wie es sich gehört.

6 Kommentare

  1. Bevor man da über „die große Lösung“ nachdenkt, sollte man vielleicht mal zählen wie viele der 3000 Autos pro Tag dort tatsächlich mit einem Radfahrer zusammentreffen.

    Die aktuelle Lösung halte ich für einen guten Kompromiss.

    • Hi Oliver, volle Zustimmung. Wir brauchen auch keinen Umbau, denn die Regelung ist jetzt in Ordnung.

  2. In der verlinkten Datei mit den Urteilen werden die Umlaute nicht korrekt dargestellt.

  3. Ich versteh‘ nicht, weshalb die Behörde sich so geziert hat???? Abbiegen ist abbiegen und Vorfahrt ist Vorfahrt.

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